Redebeitrag: Gedenken an Rudolf Breitscheid

7. Oktober 2015

Am 24. August 2015 fand in der Gedenkstätte des KZ Buchenwald eine gemeinsame Veranstaltung der SPD Thüringen und der „Thüringer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der AntifaschistInnen“ (TVVdN/BdA) zum Gedenken an den sozialdemokratischen Politiker Rudolf Breitscheid statt, der vor 71 Jahren starb. Wir dokumentierten die Rede der Landesvorsitzenden der TVVdN/BdA, Elke Pudszuhn.

Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen seiner Mitmenschen“ (Albert Schweitzer). In Anlehnung an Albert Schweitzers Worte, stehe ich heute hier am steinernem Denkmal für Rudolf Breitscheid, der am 24. August 1944 beim Bombenangriff ums Leben gekommen ist. Wer weiss schon, ob ihn die Nazis nicht auch noch umgebracht hätten, wenn er nicht an diesem Tag als Opfer des Bombenangriffs gestorben wäre, wo sterben täglich, auch ohne Bomben von oben, an der Tagesordnung war.

56.000 Häftlinge wurden hier auf dem Ettersberg in den Jahren des Bestehens des Konzentrationslagers Buchenwald erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt.

Als mein Vater am 20. August 1944 von der Gestapo verhaftet und hierher verbracht wurde, erhält er am 22. August laut Eintragung in der Veränderungsliste die Häftlingsnummer 81706. Zwei Tage zuvor, in der Nacht vom 17. zum 18. August wurde Ernst Thälmann beim Betreten des Krematoriums hinterrücks erschossen. Seine Ermordung sollte geheim gehalten werden, deshalb verbreitete man die Lüge, Thälmann sei bei dem Bombenangriff am 24. August ums Leben gekommen.

Unser LAG-Vorsitzender und Vizepräsident des IKBD Günter Pappenheim schreibt in seinen Erinnerungen, das er den Auftrag hatte, bei Rudolf Breitscheid in der Isolierbaracke das Schloss einer Schranktür zu reparieren, um erneut Kontakt der illegalen Widerstandsgruppe zu dem bekannten Sozialdemokraten zu knüpfen. Dazu kam es leider nicht mehr, da Rudolf bei dem Angriff der alliierten Luftstreitkräfte am 24. August auf die Gustloff-Werke auch die Baracke getroffen wurde, in der er gefangen gehalten wurde und nur noch tot geborgen erden konnte.

Seit April 1944 befindet sich unter den Häftlingen auch Klaus Trostorff, der vor einigen Tagen, am 7. August fast 95-jährig verstarb. Klaus stammt aus Breslau, wo die Familie stark durch die poltisch engagierte Großmutter geprägt war. Sie war für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als Stadträtin in Breslau tätig. Und in seinen Erinnerungen schreibt er, dass der damalige SPD-Reichstagspräsident Paul Loebe wohl der prominennteste Besucher bei ihr war. Die Großeltern wurden in Auschwitz ermordet. Klaus wird Ende 1943 verhaftet und im Breslauer Gestapo-Gefängnis vernommen und unter Schlägen versucht man von ihm Aussagen zu erpressen. Nach 5-monatiger Haft wurde er Anfang April 1944 ins KZ Buchenwald verbracht. Hier wurde er als „deutscher politischer Häftling“ mit der Nummer 1819 – nach der üblichen Prozedur- Haare entfernen – desinfizieren – duschen – Häftlingskleidung empfangen zur Quarantäne in den Block 63 – Kleines Lager- gebracht. Danach wird er strafverschärfend – als einziger deutscher Häftling – in das sowjetische Kriegsgefangenen – Lager eingewiesen. Nach anfänglichem Argwohn wurde er in die Gemeinschaft der sowjetischen Kriegsgefangenen aufgenommen und er schreibt darüber in seinen Erinnerungen: „Ich habe in Buchenwald großartige Kumpels, großartige Freunde, Kameraden kennengelernt, mutig – ehrlich – hilfsbereit – ich habe ihnen wirklich mein Leben zu verdanken“.

Klaus Trostorff war von 1969 bis 1989 Direktor der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald und es hat immer am 24. August ein Gedenken für Breitscheid gegeben. Ihm und seinem Kumpel Ottomar Rothmann, der heute leider nicht hier sein kann, war Gedenken – Erinnern – Mahnen immer sehr wichtig. Dem Schwur von Buchenwald, ,..den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Welt steht, die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und für eine Welt des Friedens und der Freiheit war und ist ihnen immer wichtig gewesen und die Überlebenden haben ihr Vermächtnis in unsere Hände gelegt. In ihrem Vermächtnis „Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen“ erklärten KZ -Überlebende, die die internationalen Komitees von neun Lagern vertraten, öffentlich: „Unsere Reihen lichten sich. In allen Instanzen unserer Verbände, auf nationaler wie internationaler Ebene, treten Menschen an unsere Seite, um die Erinnerung aufzunehmen. Sie geben uns Vertrauen in die Zukunft, sie setzen unsere Arbeit fort. Der Dialog, der mit uns begonnen wurde, muss mit ihnen fortgeführt werden. Für diese Arbeit benötigen sie die Unterstützung von Staat und Gesellschaft. Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutschland, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Naziideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen…“

Eben, aus dieser Verantwortung heraus, bin ich fast täglich unterwegs für Flüchtlinge und gegen die Hass und Angst verbreitenden Nazis. Ja, es sind keine sogenannten „Wutbürger“, es sind eindeutig Nazis, die diese Demos gegen Flüchtlinge anmelden und durchführen. Ich erlebe das in Suhl. Verbietet ein Stadtoberhaupt die Demo, wird sie unter dem Deckmantel Demokratie vom Oberverwaltungsgericht Weimar genehmigt. Wie lange soll das noch gehen, frage ich? Wir von der VVN und andere fordern seit Jahren das Verbot der NPD und ihrer Gliederungen. Seit Jahren sind Staat und Regierung nicht bereit, das Verbot durchzusetzen. Die Morde vom NSU-Trio und die vielen Anschläge auf Menschen reichen wohl noch nicht aus? Da sind wir heute bei erinnern – gedenken – mahnen bei Geschichte und Gegenwart. Und ich bin mir sicher, dass Rudolf Breitscheid am 19. April 1945 den Schwur der Überlebenden von Buchenwald mit geleistet hätte, nicht eher zu ruhen, bis der letzte Schuldige vor den Richtern der Welt steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln bleibt auch unsere Losung und der Aufbau und die Gestaltung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist auch unser Ziel, so, wie es im Vermächtnis der KZ-Überlebenden an uns heißt: Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen.