Erinnerungen an den Antifaschisten Ludwig Pappenheim zum 130. Geburtstag
5. März 2017
von Elke Pudszuhn
Am 17. März 1887 wurde Ludwig in der jüdischen Kaufmannsfamilie Pappenheim in Eschwege geboren. Nach dem Realschulabschluss ging er nach Hamburg in die kaufmännische Lehre, die er erfolgreich abschloss. In der Hansestadt Hamburg trat er am 1. Januar 1905 der SPD bei, ging zurück nach Eschwege und wurde in seinem Heimat- und Wahlkreis Eschwege, Witzenhausen, Schmalkalden politisch aktiv.
Auf einer Wahlkundgebung zu den Reichstagswahlen 1912 sprach Ludwig Pappenheim in Vertretung des Bezirkssekretärs und seines Freundes Georg Thöne auf einer Wahlkundgebung im Bürgersaal Schmalkalden. Mit Thöne kam erstmals ein Sozialdemokrat aus diesem Wahlkreis direkt in den Reichstag.
Ludwig Pappenheim hasste den Krieg und musste trotzdem vier Jahre an die Ostfront. In einem von ihm mit anderen Kameraden an der Front 1918 herausgegebenen Flugblatt mit der Überschrift „Kameraden erwacht“! heißt es:
„Die Erde scheint nichts weiter als ein riesengroßer Mordplatz! Alle Schuld an dem rasenden Völkermorden trägt das System der kapitalistischen Ausbeutung der Massen durch eine Minderheit Kapitalbeherrscher …“
Während der Novemberrevolution wurde über Schmalkalden der Belagerungszustand verhängt, Pappenheim verhaftet und unter dem Vorwand des Landfriedensbruches vorübergehend im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden inhaftiert. 1919 gründete er mit Genossinnen und Genossen der SPD die Zeitung „Die Volksstimme“, deren Chefredakteur er wurde. Er beteiligte sich an der Niederschlagung des Kapp-Putsches im Jahre 1920 und unterstützte im Herbst 1921 die 900 streikenden Metallarbeiter in Schmalkalden.
Am 22. Oktober 1922 wurde er zum Kreisvorsitzenden der SPD und am 30. August 1925 zum Landtagsabgeordneten des Provinzial-Landtages der Provinz Hessen-Nassau und in den Kommunallandtag des Regierungsbezirkes Kassel gewählt. Ab 1929 war er unbesoldeter Beigeordneter des Schmalkalder Magistrats, stellvertretender Landrat und Mitglied in mehreren städtischen Deputationen und Kommissionen.
In der Arbeiterschaft war Ludwig Pappenheim beliebt, da er sich stets für sie einsetzte. Die Nazis, in Thüringen seit 1932 an der Macht, hatten ihn zu ihrem Feind erklärt. Unter Missachtung seiner Immunität als SPD-Landtagsabgeordneter und stellvertretender Landrat von Schmalkalden wurde er bereits am 25. März 1933 – nur zwei Tage nach Erlass des sogenannten „Ermächtigungsgesetzes“ – von der SA in „Schutzhaft“ genommen. Pappenheim war am 5. März 1933 erneut in den hessischen Landtag gewählt worden. Erst im Konzentrationslager erreichte ihn die Nachricht, dass seine Wahl von den Nazis für ungültig erklärt wurde.
Da die „Schutzhaft“ Pappenheims wegen eines „versteckt angelegten Waffenlagers“ ebenso absurd wie lächerlich war, wurde er wegen „Gotteslästerung“ zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die er im Gefängnis in Suhl verbüßte. Am Entlassungstag am 27. Juli 1933 erlangte er nicht die Freiheit. Wie vielen anderen Antifaschisten erteilte man ihm beim Verlassen des Gefängnisses den „Schutzhaftbefehl“.
Seine Odyssee begann im Kasseler Polizeigefängnis. Von dort kam er in das KZ Breitenau und am 16. Oktober 1933 wurde er in das KZ Börgermoor, Lager 5, Baracke 7, Außenlager Neusustrum verbracht. In diesem Lager wurde er am 4. Januar 1934 „auf der Flucht“ erschossen.
Zwei Meldungen dazu:
Erklärung der KZ-Lagerleitung in einer Tageszeitung des Emslandes:
„Auf der Flucht erschossen. Papenburg. Das frühere langjährige sozialdemokratische Mitglied des Kasseler Kommunallandtages und Redakteur der sozialdemokratischen „Volksstimme“ in Schmalkalden L. Pappenheim, der sich in einem KZ an der holländischen Grenze befand, ist dort bei einem Fluchtversuch erschossen worden.“
In einer anderen Quelle heißt es:
„… im KZ wurde P. mißhandelt und verhöhnt, dann kam er in den Bunker … Er sollte einen Abschiedsbrief an seine Familie schreiben. Jede Nacht wurde er verprügelt. Am 3. Januar 1934 brach er beim Appell zusammen. Am 4. Januar 1934 wurde er auf der Flucht erschossen. Der SS-Mann Johann Siems rühmte später seinen „Meisterschuß“, der gegen 11.30 Uhr erfolgte.“
Seine Frau Frieda war nun alleinstehend und hatte für ihre Tochter Erna sowie für die Kinder aus der Ehe mit Ludwig Ruth (9), Günter (8) und Kurt (6) Jahre alt zu sorgen. Die Familie war geächtet und ständigen Schikanen der Nazis ausgesetzt.
Kurt Pappenheim schrieb in seinen Erinnerungen:
„Allein auf uns gestellt, hätten wir die Drangsal der Nazizeit nicht durchstehen können. In dieser Zeit haben wir vielfach Hilfe und Solidarität erfahren … überbrachte Sach-, Lebensmittel- und Geldspenden ermöglichten das Überleben der Familie …“
Günter Pappenheim hatte am Nationalfeiertag der Franzosen am 14. Juli 1943 den französischen kriegsgefangenen Zwangsarbeitern in der Werkzeugfabrik „Gebrüder Heller“, Schmalkalden, auf seiner Ziehharmonika ihre Nationalhymne gespielt. Denunziert, kam er wegen „staatsfeindlicher Einstellung“ in das Arbeitserziehungslager „Großer Gleichberg“ bei Römhild, später in das KZ Buchenwald, wo er am 11. April 1945 die Selbstbefreiung erlebte.
Er ist heute Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald–Dora und Kommandos sowie Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora. Am 27. Januar 2017 erhielt er auf Erlass des Präsidenten der Französischen Republik die Insignien eines Kommandeurs der Ehrenlegion, die ranghöchste staatliche Auszeichnung Frankreichs.
Kurt Pappenheim wurde noch im Oktober 1944 in das Zwangsarbeitslager Weißenfels/Halle eingewiesen. Er überlebte das faschistische Regime. Seit Jahrzehnten ist er als Zeitzeuge unermüdlich tätig und geachteter Gesprächspartner bei Jugendlichen und Studenten.
Nach der Befreiung vom Faschismus 1945 beschloss die Thüringer Landesregierung, den Ort Kleinschmalkalden in „Pappenheim“ umzubenennen. Nach 1990 wurde der Ort nach einer initiierten Volksbefragung wieder in Kleinschmalkalden umbenannt. 1987 erhielt eine Schule in Schmalkalden den Namen des ermordeten Antifaschisten Ludwig Pappenheim. Der Schulname wurde nach 1990 stillschweigend getilgt.
Neben den Gedenksteinen auf dem Friedhof Eichelbach/Schmalkalden und im Ort Kleinschmalkalden wurde zum 110. Geburtstag von Ludwig Pappenheim 1997 in Trusetal ein Platz nach ihm benannt und ein neuer Gedenkstein eingeweiht.
Am 21. Juni 2011 wurde vor dem ehemaligen Standort des Elternhauses in Eschwege und am 9. November 2011 vor dem ehemaligen Sitz der Redaktion der sozialdemokratischen Parteizeitung „Die Volksstimme“ in Schmalkalden für Ludwig Pappenheim ein Stolperstein verlegt.
Literaturhinweis:
König, York-Egbert/Krause-Vilmar, Dietfried/Simon, Ute: Ludwig Pappenheim. Redakteur-Sozialdemokrat-Menschenfreund. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2014. Erschienen in der Reihe Jüdische Miniaturen des Centrum Judaicum.