Rede von Martina Renner zum Tag der Opfer des Faschismus 2022
20. September 2022
Liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Engagierte,
ich möchte mit einer persönlichen Begegnung am letzten Wochenende in Wien beginnen. Zusammen mit Aktiven des KZ-Verbandes war ich zu einem antifaschistischen Spaziergang über den Zentralfriedhof verabredet. Irgendwann standen wir vor einer recht monomentalen Bronze. Dem Denkmal für die gefallenen Partisan*innen des ehemaligen Jugoslawien, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus ließen. Auf dem Plan zum Friedhof ist dieser Gedenkort mit „serbische Opfer des 1. Weltkriegs“ markiert. Kein Wunder angesichts der offiziellen Geschichtspolitik des Landes Österreich sich selbst zum Opfer zu stilisieren und mit dem antifaschistischen Widerstand zu hadern. Antifaschist*innen haben diesen Ort vor einigen Monaten entdeckt, einen vollkommen überwachsenden Marmorkubus mit einer Inschrift freigelegt und diesen 9.Mai dort ein Gedenken abgehalten.
Hier in Bad Salzungen gibt es ein ähnliches Beispiel. Eine Tafel am Rathaus erinnerte an das Wirken von Magnus Poser und Theodor Neubauer. Irgendwann verschwand diese und Kameraden vor Ort machten sich auf die Suche, auch im Internet. Dann tauchte sie ganz plötzlich wieder auf, vermeintlich zufällig gefunden in Trier. Man kaufte sie zurück und verhandelt jetzt mit der Stadt über eine Stele mit eben dieser Plakette und entsprechende Hinweistafel hier auf dem Friedhof, am Gedenkort, wo wir uns gerade befinden. Diese Beispiele zeigen: Erinnerung ist ein umkämpfter Ort. Gedenken ist kein Ritual. Es muss sich verändern, es muss den Blickwinkel auf die Opfer des Faschismus weiten, insbesondere heute da die Zeitzeug*innen uns verlassen. An uns den politischen Erben der Zeitzeug*innen liegt es den Schwur von Buchenwald „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ gerade auch für die junge Generation zu aktualisieren. Mahnung, Erinnerung an die Opfer und aktives Engagement sind untrennbar verbunden.
Das Gedenken ist umkämpft und sie ist nicht abgeschlossen. Wir werden auch weiterhin Teil sein der historischen Forschung, der Sicherung der Lebenserinnerungen von Widerstandskämpfer*innen und Opfer des Faschismus. Ihre Namen, ihre Geschichte zu kennen und weiterzuerzählen ist die Basis. Die Mahnung wird gelingen wenn wir Übersetzer*innen sind. Was hat der Schrecken der faschistischen Terrorherrschaft mit dem rechten Terror heute gemeinsam? Die Ideologie aber auch das Morden in Serie, die Kaltblütigkeit? Über diese Mahnung kommen wir zur Aktion.
In einer Ausstellung der RLS zum italienischen Widerstand wird auf einer Tafel ein Partisan mit „Ich hasse die Faschisten“ zitiert. Ich finde das überhaupt nicht schlimm. Wütend zu sein ist ein guter Motor. Wir sind heute wütend, wenn Faschist*innen sich noch immer Räume und Straßen nehmen können. Es macht mich sprachlos, dass ihr von Vernichtungsfantasien geprägtes Weltbild noch immer neue Anhänger:innen findet. Es macht mich rastlos, dass sie wieder in deutschen Parlamenten sitzen. Deshalb gilt der Schwur von Buchenwald uneingeschränkt; er verpflichtet uns, ja er zwingt uns zur Aktion.
Diesen Kampf, unseren antifaschistischen Kampf, werden wir gewinnen! Und wir geben so lange nicht auf, bis wir dem Schwur von Buchenwald gerecht geworden sind.
Dazu gehört allerdings auch, klar und deutlich zu sagen, dass der Frieden auf der Welt fragil ist. Nach den Jugoslawienkriegen hatte man den Eindruck in Europa in einer Phase relativen Frieden zu leben. Diese Phase wurde durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine durchbrochen. Nie wieder Krieg und damit eine sichere Welt des Friedens und der Freiheit ist auf ein Neues gescheitert. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass die Konflikte dieser Welt beendet werden, denn eins ist so sicher wie wahr: Kriege enden nicht, sie ziehen weiter. Imperiale Bestrebungen werden erst ruhen, wenn ihr Vormacht- und Großmachtstreben befriedigt ist. Dazu darf es nicht kommen.
Ich will mit noch einer Begebenheit aus Wien enden. Nachts standen wir auf dem Heimweg vor dem Sowjetischen Ehrenmal am Ring in Wien. Jemand konnte die Inschrift übersetzen: Im ersten Satz wurde der 3. Ukrainischen Front der roten Armee gedankt, die die österreichische Hauptstadt befreit hatten. Die ersten schweren Kämpfe fanden auf dem Zentralfriedhof statt. Fast jeder alte Grabstein dort zeigt Einschusslöcher. Das erinnert uns daran, wie unser Antifaschismus, unser Engagement gegen Krieg und unser Internationalismus sein müssen: ohne Instrumentalisierung, offen, historisch gerecht und solidarisch.
Ich danke Euch für das Kommen.