Die Person hinter dem Schild
9. November 2022
Straßenschild in Bad Salzungen mit Information versehen
Autor: Klaus-Martin Luther (BG Bad Salzungen)
Für Nichteingeweihte verbindet sich der Name Martin Luther sicher mit dem großen deutschen Reformator aus dem 16. Jahrhundert. Das stimmt in diesem konkreten Fall aber nicht, denn dann würde vor dem Namen noch das „Dr.“ stehen. Diese Straße wurde nach dem 1892 geborenen Bad Salzunger Arbeiter, Kommunisten und Antifaschisten Martin Luther benann Und ich bin zufällig einer seiner 5 Enkel. Mitte des vorigen Jahrhunderts, als „Sälzinge“ noch eine überschaubare Anzahl von Bürgern hatte, wo jeder fast jeden noch persönlich kannte, war mein Großvater als der,,Luthers Märte“ von der „Steinernen Mauer“ gut bekannt. Die Luthers wohnten in der Sophienstraße 2. Hier war ich als Kind sehr oft Pensionsgast. Ich kann mich auch noch sehr gut an meinen Opa erinnern. Gerne nahm er mich Steppke Sonntags mit zum Fußballspiel von Stahl Bad Salzungen auf den Haad. Anschließend ging es immer den Weinberg hoch zum bekannten Ausflugslokal ,,Jungs Höh“ (später Waldschänke) zum Luthers Hain, seinem Bruder. Da gab es dann für mich immer eine Bockwurst mit der obligatorischen Waldmeisterlimonade.
Politisch aktiv war mein Opa sein ganzes Leben lang. Ob in der Gewerkschaftsbewegung oder später als Mitbegründer der KPD Ortsgruppe Bad Salzungen. In den 30er Jahren war er auf Grund seiner politischen Einstellung oft arbeitslos. Er musste zusehen, wie er mit seiner Familie über die Runden kam, meist waren es Gelegenheitsarbeiten, u.a. schusterte er zu Hause. Sein Schusterwerkzeug ist übrigens noch in meinem Besitz, auch etliche Bücher aus seinem großen Bücherschrank, er liebte Bücher.
In der Nazizeit gehörte er auch nicht zu den Leisetretern. Er war immer mittendrin in den politischen Auseinandersetzungen:
- ob bei den illegalen Treffen im Ratskeller mit weiteren Antifaschisten der Neubauer/Poser Widerstandsgruppe
- ob bei Aktionen zur Rüstüngssabotage in der Fa. Schmölle & Co (spät. Hartmetallwerk Immelborn)
- ob bei der Unterstützung ausländischen Zwangsarbeiterinnen, die in den Rüstungsbetrieben unter unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen schuften mussten.
- oder als er gemeinsam mit seinem Genossen Karl Fischer und einer weißen Fahne am 4. Mai 1945 dem Vorauskommando des 358 amerikanischen Infantrie-Bataillons entgegen ging und am ehemaligen Pumpenhäuschen die Stadt kampflos übergaben. Dem voraus gingen schwierige Gespräche mit dem schon bewaffneten Volkssturm, der letztendlich die Waffen niederlegte.
Das sagt sich heute alles so leicht, geht leicht über die Lippen, aber damals war das alles sehr mutig, weil sehr gefährlich. Unmittelbar nach Kriegsende half mein Opa in wichtigen Funktionen mit das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben wieder in Gang zu setzen. Bereits im Mai 1945 wurde er zum 2. Bürgermeister gewählt und war auch 5 Jahre Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. 1967 verstarb er. Seine letzte Ruhestätte fand er im 1986 errichteten Ehrenhain für antifaschistische Widerstandskämpfer auf dem Husenfriedhof.
Ein letzter Gedanke, rein hypothetisch: Was würde er wohl empfinden, wenn er uns heute zuschauen könnte?
Zum einen natürlich Freude über die persönliche Ehrung, auch Respekt vor den derzeit vorherrschenden demokratischen Verhältnissen.
Aber sicher auch ein großes Unverständnis darüber, das 77 Jahre nach der Befreiung des KZ Buchenwald der Schwur der 20.000 überlebenden Häftlinge, den Faschismus mit all seinen Wurzeln auszurotten, immer noch nicht erfüllt ist! Immen noch können alte und neue Faschisten unbehelligt auf der Straße marschieren und ihre verbrecherische Ideologie verbreiten. Dagegen müssen wir uns, müssen sich alle demokratische denkenden Bürger mit allen Kräften wehren. Zur Vision einer anderen, einer gerechten Welt, einer Welt des Friedens und der wirklichen Freiheit gibt es keine Alternative!