Rede von Ludwig Elm zum Magnus-Poser-Gedenken 2015

27. Juli 2015

Ansprache am Mahnmal für Magnus Poser, Jena-Nordfriedhof, 21. Juli 2015 von Ludwig Elm, Jena

Wir kommen an diesem Tag zum Gedenken an den mutigen und opferbereiten antifaschistischen Widerstandskämpfer Magnus Poser zusammen. Am 21. Juli 1944 erlag er in Buchenwald den schweren Schussverletzungen, die ihm beim nächtlichen Fluchtversuch aus dem Gestapo-Gefängnis Weimar von den ihn verfolgenden Schergen zugefügt wurden. Der 1907 geborene Jenaer beendete ein Leben als Tischlergeselle, Gewerkschafter, Naturfreund, Freidenker und Kommunist, der trotz Verfolgung und wiederholter Haft ab 1933 immer wieder selbstlos und wirksam in Jena und Thüringen mit Weg- und Kampfgefährten Widerstand organisierte.

Die Landesvorsitzende des Thüringer Verbandes VdN-BdA e. V., Elke Pudszuhn, hat vor einem Jahr an dieser Stelle das Leben und Sterben von Magnus Poser gewürdigt. Ihre Eltern, Else und Hans Raßmann aus Zella-Mehlis, hatten als Antifaschisten Ende 1933 Magnus und Lydia Poser im KZ Bad Sulza kennengelernt. Ein Foto von Pfingsten 1944 in Zella-Mehlis zeigt die Ehepaare Poser und Raßmann, ihre Kinder Ruth sowie Rolf und Elke und weitere Freunde. An diesem Mahnmal und mit unserer Begegnung am heutigen Tag gedenken wir Magnus Posers und ehren mit ihm die Kämpfer des Widerstandes gegen Rassismus, Nazismus und Militarismus sowie alle Opfer des Faschismus in Jena, Thüringen und darüber hinaus.

Noch stehen wir unter dem Eindruck des nur einige Wochen zurückliegenden 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus. Es sei Anlass, heute an die Lebens- und Kampfgefährtin von Magnus Poser, Lydia, geborene Orban, zu erinnern. Sie steht persönlich für ein Leben im Widerstand an seiner Seite und für den folgenden revolutionären Übergang und Neubeginn. Die Stenotypistin und Angestellte war bereits sechzehnjährig zum KJVD und vier Jahre später zur KPD gekommen. Damit gehörte sie einer Partei an, zu deren Wahl und Zusammengehen mit der SPD beim „Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront“ herausragende Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 in einem leidenschaftlichen Appell aufgerufen hatten, darunter Emil Julius Gumbel, Käthe Kollwitz, Robert Kuczynski, Heinrich Mann und August Siemsen.

Sie stand mit Magnus und anderen in jener Zeit auf der richtigen Seite und sie blieb sich treu, als es noch schwerer wurde. Lydia und Magnus wurden am 26. November 1933 verhaftet und sie im April 1934 vom Oberlandesgericht Jena wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie verbüßte ihre Haftstrafe bis Februar 1936 zunächst im Frauengefängnis Gräfentonna, danach in Hohenleuben. Kurz nach seiner Haftentlassung heirateten Magnus und Lydia am 26. September 1936. 1938 wurde die Tochter Ruth geboren. Lydia arbeitete von 1937 bis 1945 als Stenotypistin und Kassiererin. Sie wurde wie Magnus am 14. Juli 1944 erneut verhaftet, kam jedoch zwei Tage später frei.

1945 ging es darum, nach dem Ende des Verbrecherstaates und angesichts europa- und weltweiter Opfer und Verwüstungen eine grundlegende gesellschaftliche Erneuerung zu wagen. In Deutschland kam es darauf an, mit den machtpolitisch, militärisch und ideologisch Verantwortlichen für einen über dreißigjährigen Zyklus von Hochrüstungen, Vernichtungskriegen, Krisen, Verelendung und weiteren Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie einer weltgeschichtlich unübertroffenen Bilanz an Opfern und Zerstörungen zu brechen, sie zu entmachten und einen radikalen, antifaschistisch-demokratischen Umbruch zu verwirklichen. Lydia Poser ging diesen Weg mit, darunter als Bürgermeisterin von Jena (1946-48), Mitglied des Landtages (1946-50), Abgeordnete der Volkskammer (1950-59), Bezirkstagsabgeordnete und Vorsitzende des Rates des Bezirks Gera (1952-1959) sowie schließlich Vorsitzende des Bezirkskomitees Gera der Antifaschistischen Widerstandskämpfer.

Unter wenigen flüchtigen Begegnungen, bei denen ich sie als bescheidene und aufmerksame Frau wahrnahm, erinnere ich mich an die Verleihung der Würde einer Ehrensenatorin der Friedrich-Schiller-Universität anlässlich der 400-Jahrfeier 1958 im Volkshaus. Zum 75. Geburtstag wurde ihr am 30. Januar 1974 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Jena verliehen. Deren Aberkennung durch die Stadtverordnetenversammlung im März 1991 widerspiegelte den restaurativen Zeitgeist einschließlich der nachwirkenden Ressentiments der Täter und Mitläufer des Dritten Reiches. Dieses Votum sollte nicht das letzte Wort im historisch-politischen Selbstverständnis unserer Stadt sein. Die Teilnahme an dem mit persönlichen Entbehrungen, Opfern und großen Risiken verbundenen antifaschistischen Widerstand muss gerade in diesem Land als eigenständiger Wert gelten, mit dem nicht nach parteipolitischem oder zeitgeistigen Belieben umgegangen werden darf.

Unser Gedenken wendet sich auch im Jahre 2015 der Gegenwart zu: Internationale Spannungen und Krisen, Hochrüstung, Interventionen und langjährige Besatzungsregimes, staatlicher und nichtstaatlicher Terrorismus, aus allem erwachsende riesige Flüchtlingsströme prägen beträchtliche Regionen der Welt ebenso wie unaufgearbeitete Vergangenheiten und neue faschistische, rassistische und weitere menschenfeindliche Bewegungen und Umtriebe. Manche historischen Erfahrungen und Lehren sind umstritten. Auseinandersetzungen um den Ersten und den Zweiten Weltkrieg sowie den 8. Mai 1945 als bedeutendste Zäsur des 20. Jahrhunderts lebten seit Anfang 2014 neu und intensiv auf.

Die Fraktionen der LINKEN brachten im Bundestag sowie – gemeinsam mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen – im Thüringer Landtag Anträge zur Einführung eines gesetzlichen Gedenktages 8. Mai ein. Während er im Bundestag auch nach über 65 Jahren Bundesrepublik erneut routinehaft abgelehnt wurde, kann Thüringen dem Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg folgen. Die Initiative wird von uns begrüßt und nachdrücklich unterstützt.

Allerdings erscheinen dazu kritische Anmerkungen unumgänglich. Die „Begründung“ im Antragstext ist gedanklich und stilistisch unausgewogen und insbesondere in ihrer historisch-politischen Grundtendenz unakzeptabel (bis beschämend) für alle, die das Vermächtnis der Hauptströme des antifaschistischen Widerstands wahren und offensiv in heutige Auseinandersetzungen einbringen wollen. Es kann nicht zugelassen werden, dass auf diese Weise auch unser Gedenken plakativ und konturlos wird, damit seinen radikaldemokratischen Ursprung verleugnet und auf diese Weise in die heutigen offiziellen konformistischen Erinnerungs- und Gedenkrituale überführt wird.

Die den genannten Text einleitende historische Skizze verdient an geeigneter Stelle eine kritische Durchsicht und Bewertung. Sie verfehlt das eigentliche Anliegen des Antrags bereits dadurch, dass eine ausdrückliche Würdigung der Leistungen und Opfer der Antihitlerkoalition sowie des europaweiten antifaschistischen Widerstandes einschließlich der Partisanenbewegungen fehlt. Darüber hinaus wäre es im Dienst geschichtlicher Wahrheit und Gerechtigkeit sowie angesichts der erheblichen Verzerrungen in der Geschichts- und Gedenkpolitik dieses Landes überfällig, die seit Beginn der dreißiger Jahre aus der Arbeiterbewegung kommenden Widerstandskräfte endlich als früheste, breiteste und opferreichste Hauptkraft des deutschen Widerstands zu würdigen.

Anschließend wird in jenem Text bemerkt, dass des 8. Mai „in Ost- und Westdeutschland sehr verschieden gedacht“ wurde. Wie wahr! Bezüglich der Bundesrepublik ist zu lesen: „Die Verbitterung über zerrissene Illusionen und das Leid, das der Krieg auch über deutsche Familien gebracht hatte, standen der Aufarbeitung lange im Weg.“ Es folgt eine langes Zitat aus der bekannten Rede R. von Weizsäckers anlässlich des 8. Mai 1985. Anscheinend gab es nach 1949 jahrzehntelang in der BRD keine verantwortlichen politischen Kräfte, keine Politiker und Parteien, nach deren Rolle in der Geschichts- und Gedenkpolitik zu fragen ist und die doch zumindest zu erwähnen wären?

Oder setzen die Verfasser voraus und fügen sich darein, dass es unerwünscht ist, daran zu erinnern, dass die Bundesrepublik von ihren Gründungstagen an ein Glücksfall für die Masse der Mitläufer und Täter des deutschen Verbrecherstaates – darunter auch zahlreiche schwerbelastete Nazi- und Kriegsverbrecher – gewesen ist?! Das reicht von der Schlussstrichpolitik der Mitte-Rechts-Regierung ab September 1949 über Strafffreiheit, Verjährungen, Amnestien, Bagatellstrafen für Massenmörder oder Strafminderung, Verfahrenseinstellungen, Haftverschonung usw. usf. über das Nazi-Schutz- und Förderungsgesetz zu Art. 131 GG von April 1951 sowie – bis heute wirksam – bis zur Nichtauslieferung von NS-Tätern, die im Ausland wegen ihrer Verbrechen verfolgt und verurteilt wurden. Es sei bei diesen Andeutungen belassen und es kann – wo immer eine Wille zu Aufklärung vorhanden ist – mit reichem Beweis- und Anschauungsmaterial ergänzt und untersetzt werden.

Die Kehrseite war und ist die feindselige Grundhaltung zum Antifaschismus, die bloß zeitgemäß bedingte Modifikationen seit 1949/50 erfuhr und die bis heute bei Politikern, Behörden, Medien, „Verfassungsschützern“, Juristen und Polizisten sowie weiteren staatstragenden Kräften in unterschiedlichen Facetten beobachtet und erlebt werden kann. Wir protestieren gegen die unsägliche offene Diskriminierung des bayerischen Landesverbandes der VVN-BdA. e. V. durch einen Verfassungsschutz, der von der CSU, der Nachfolgepartei der rechtsextremen Bayerischen Volkspartei (BVP), im Geiste dieses Erbes geleitet und geprägt wird. Deren Koalitionspartner in Berlin üben sich auch in diesem Fall in frag- und kritikwürdiger Nichteinmischung.

Im Unterschied – besser Gegensatz – zu diesem peinlich großmütigen Übersehen des Wesentlichen im Fall der alten Bundesrepublik wird in schlechtem Deutsch aus heutiger geschichtsideologischer Massenware entnommen, womit die DDR mit den üblichen Klischees denunziert und ihre antifaschistische Herkunft herabgesetzt wird. Dort sei der 8. Mai, so heißt es in einem Monstersatz, „ein zentraler Strang der geschichtspolitischen Untermauerung der SED-Herrschaft – verankert im kommunistischen Widerstand und mit Bezug auf die Rolle der Sowjetunion“ gewesen. Anderer Widerstand und die Shoah hätten „wenig Erwähnung gefunden“.

Zu diesen verbreiteten, von Unwissen und Ignoranz gespeisten und auf die Diskreditierung der antifaschistischen Herkunft der DDR gerichteten Entstellungen beschränke ich mich auf eine persönliche Erinnerung: Auf meine Initiative sowie unterstützt von weiteren Freunden und der Universität fand anlässlich des 20. Jahrestages der Ermordung der Geschwister Scholl und weiterer Mitglieder der Weißen Rose im Februar 1963 im Foyer der Aula der Universität Jena eine Ausstellung statt. An der Eröffnung hatte der rassistisch verfolgte, nach Frankreich emigrierte Kommunist und Widerstandskämpfer Otto Stamfort teilgenommen, den zu erwähnen die Autoren der Universitätsgeschichte von 2009 nicht mehr für notwendig oder angebracht hielten. Übrigens: An wieviel der zahlreichen westdeutschen Universitäten und Hochschulen – außer München – hat es in den fünfziger bis siebziger Jahren zu diesem oder vergleichbarem Anlass Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen und Ehrungen gegeben?

Woraus erklärt sich der in diesem Rahmen bloß angedeutete Befund zu einem für sich doch sehr begrüßenswerten geschichtspolitischen Antrag von Mitte-Links im Thüringer Landtag? Liegt es an Unkenntnis, Unterschätzung und Nachlässigkeit, an Vorurteilen und Opportunismus, am Vorrang des politisch-taktischen Kalküls oder ist es einfach Auswirkung dessen, was fast ausnahmslos und mit hohem staatlichen Aufwand seit rund einem Vierteljahrhundert weithin einseitig, selektiv und apologetisch als Geschichte im öffentlichen Raum dominiert? Privatwirtschaftlich agierende Zeitungen, Zeitschriften, Internetdienste etc. wetteifern mit staatlichen und parteinahen Stiftungen und Institutionen, zahlreichen Einrichtungen der politischen Bildung und Schulbuchautoren darum, sich im Sinne der herrschenden Ideologie und Politik zu bewähren und dafür ihre Nützlichkeit zu beweisen.

Wahrscheinlich wirken die angedeuteten ursächlichen Aspekte irgendwie verflochten und in individuell unterschiedlicher Mischung zusammen und treten dann geschichtspolitisch in Erscheinung. Sie unkritisch hinzunehmen und nicht um Verständigung und angemessene geschichtspolitische Positionen bereits innerhalb der deutschen Linken und bis in die Mitte der Gesellschaft hinein zu ringen, wäre mit unseren Bekenntnissen zum antifaschistischen Erbe und Vermächtnis sowie zu den daraus immer neu erwachsenden Verpflichtungen, nicht vereinbar.

Literatur
Ruth Bahmann: Magnus Poser. Lebensbild eines Kommunisten, Jena 1981 (Lebensbilder revolutionärer Kämpfer, Heft 1) Die Autorin ist die Tochter von Lydia und Magnus Poser
Manfred Weißbecker: Ihm gebührt Hochachtung und ehrenvolles Gedenken: Magnus Poser, in: ALSO, PDS Jena- Stadt, 1 und 2/2007, S 3
Elke Pudszuhn: Erinnerung an den Widerstandskämpfer Magnus Poser zum 70. Todestag, http://thueringen.vvn-bda.de/2014/07/07/erinnerung-an

Persönliche Nachbemerkungen als ehemaliges MdB
(13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages 1994-1998)

Im März 1995 brachte die Gruppe der PDS im Bundestag den Gesetzentwurf „über den Tag der Mahnung und Erinnerung an die jüdischen Opfer des Massenmordes während der Nazidiktatur zwischen 1933 und 1945 in Deutschland“ ein mit dem Vorschlag: „Der 27. Januar wird zu einem gesetzlichen Feiertag erklärt.“ (Drucksache 13/810) Das war noch zum 50. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus der einzige förmliche Antrag im Parlament für einen solchen lange überfälligen Gedenktag in der Bundesrepublik. Zumindest die damalige Regierungskoalition (CDU/CSU und FDP) war jedoch unabhängig vom Inhalt weder bereit noch fähig, jemals einem Antrag der PDS zuzustimmen. Andererseits war sie vor diesem europäischen Gedenkereignis bemüht, zu vermeiden, im Parlament eine solche Initiative abzulehnen ohne eigene angemessene Vorschläge einbringen zu wollen oder zu können. Es kam zu einem interfraktionellen Kompromiss: Die PDS-Gruppe verzichtete auf Plenardebatte und Beschlussfassung, da zugesagt wurde, unverzüglich in eine parteienübergreifende Verständigung über Schritte zu einem solchen Gedenktag der Bundesrepublik einzutreten. Dies geschah mit dem Ergebnis, dass der Bundespräsident Anfang Januar 1996 den 27. Januar als Gedenktag dekretierte, der am Monatsende erstmalig vollzogen wurde. Bei Erörterungen anlässlich des 8. Mai 2015 im Bundestag blieb die Initiative der PDS von 1995 unerwähnt, während sie gelegentlich fälschlicherweise dem damaligen Bundespräsidenten Herzog (CDU) zugeschrieben wurde. Dieser hatte jedoch lediglich von amtswegen das Ergebnis der Meinungsbildung der Parteien in die gebotene Rechtsform umgesetzt.

Im folgenden Jahr reichte die Gruppe der PDS einen Gesetzentwurf „über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus“, also für einen Gedenktag 8. Mai, ein. (Drucksache 13/7287) In der ersten Lesung am 24. April 1997 äußerte Ludwig Elm bei der Begründung des Antrags u. a.: „Der eigentliche Beweis, dass der Bruch und das Neubeginnen nach 1945 radikal genug waren, ist von der größer gewordenen Bundesrepublik mit ihrer gewachsenen Verantwortung und mit ihren neuen Handlungsspielräumen erst noch zu erbringen.“ (Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 172. Sitzung, S. 15574) Aus der Perspektive von 2015 erweist sich die darin erkennbare Skepsis zumindest hinsichtlich wesentlicher Momente der seitherigen Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik leider als allzu begründet und zutreffend. Der Antrag wurde nach der Plenardebatte an den Innenausschuss verwiesen. Er empfahl die Ablehnung, die von der Mehrheit beschlossen wurde. L. Elm gab am 7. Mai 1998 eine Erklärung gegen diese Beschlussempfehlung zu Protokoll. (Ebenda, 235. Sitzung, S. 21643)