Gedenken an Ernst Thälmann

7. Oktober 2016

Wir dokumentieren ein Referat von Prof. Dr. Ludwig Elm aus Jena, gehalten am 18. August in Buchenwald.

Gehen wir bei unserem heutigen Gedenken an Ernst Thälmann anlässlich des 72. Jahrestages seiner Ermordung an diesem Ort exemplarisch von einigen Erinnerungen und Äußerungen von Zeitgenossen und Kampfgefährten aus.

Die Zeichner und Maler Lea und Hans Grundig fanden in Dresden in den zwanziger Jahren zur kämpferischen Arbeiterbewegung und wurden Mitglieder der KPD. Lea schilderte in ihren Erinnerungen eine Episode, die den Enthusiasmus bei der Vorbereitung und der Teilnahme an einer Großkundgebung des Roten Frontkämpferbundes (RFB) in Berlin rund um den Lustgarten verriet: Die Dresdner Kolonne mündete in „die unübersehbare Menschenmenge: „Ein mächtige Erregung hatte uns alle erfasst. Ernst Thälmann sprach.“(1) Jüdischer Herkunft, hatte Lea später durch Flucht und Emigration nach Palästina und Hans in Deutschland überleben können. Antifaschistische Erfahrung und Solidarität schlugen sich prägend im künstlerischen Lebenswerk der beiden Grundigs nieder.

Zur Wahl von KPD und SPD in der Reichstagswahl am 5. März 1933 riefen im „Dringenden Appell“ vom Februar 1933 u. a. herausragende pazifistische und antinazistische Intellektuelle auf, darunter Emil Julius Gumbel, Karl und Käthe Kollwitz, Robert Kuczynski, Heinrich Mann, Paul Oestreich, August Siemsen und Erich Zeigner. Damit solle ein Schritt „zum Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront“ getan werden. Die entscheidende Hoffnung wurde auf die SPD und die KPD, die Partei Thälmnns, sowie deren notwendiges Zusammengehen gesetzt: „Die Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit in Deutschland steht unmittelbar bevor, wenn es nicht in letzter Minute gelingt, unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind.“(2) Die Warnung wurde in den folgenden Tagen und Wochen allzusehr bestätigt. Für die Unterzeichner und viele andere blieb nach jener Wahl nur innere und äußere Emigration, vielfach Demütigung und Verfolgung, Zuchthaus, KZ und Tod. Erich Zeigner kam im August 1944 nach Buchenwald. Ein ähnliches Schicksal teilten auch Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Hellmut von Gerlach und viele andere, die in der Weltbühne sowie anderswo seit Jahren gleiche Überzeugungen verfochten hatten.

In ihrem Lebensbericht „Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle“ schilderte Greta Kuckhoff die schwere Zeit des illegalen Kampfes in der Widerstandsgruppe Arvid Harnack/Harro Schulze-Boysen und berichtete – bezogen auf etwa 1940/41 – von einem Gespräch mit ihrem Mann, Adam. Sie hatte zuvor geklagt, dass kaum ein Fortschritt zu sehen sei und sich alles „im Halbdunkel der Illegalität“ vollziehe. Adam Kuckhoff erwiderte, sie habe es schwerer als er und andere Mitstreiter. Wenn ihn Mutlosigkeit befalle, erinnere er sich an die großen Demonstrationen und die roten Fahnen – ohne Hakenkreuz. „Thälmann stand stundenlang mit gerecktem Arm und geballter Faust, verlässlich wie ein Fels. Du hast den Jubel gehört, der ihm beim letzten Umzug entgegenschlug!“ Adam suchte im Radio Arbeiterlieder, die auch in den Lagern, in der Emigration und im Widerstand Entschlossenheit weckten. Greta schrieb: „An solchen Tagen liebte er Deutschland doppelt so stark: Thälmanns Deutschland!“(3)

Wir erfahren, dass selbst unter diesen schwierigen Bedingungen für Adam Kuckhoff die marxistischen Quellen, die kapitalismuskritische Literatur zum täglichen Leben und Arbeiten gehörten, einschließlich entsprechender Anstöße und Anregungen für sein Umfeld. Kuckhoff und die meisten Angehörigen der großen und heterogenen Widerstandgruppe wurden nach Verhaftung und Prozessfarce Ende 1942/Anfang 1943 ermordet, darunter Arvid und Mildred Harnack, Harro und Libertas Schulze-Boysen, Hilde und Hans Coppi. Greta Kuckhoff, zunächst ebenfalls zum Tode verurteilt, überlebte und ging ihren Weg mit dem antifaschistischen Neubeginn in der SBZ und DDR. Manchem ist sie als Präsidentin der Notenbank der DDR in den fünfziger Jahren erinnerlich. Der Vergleich ihres Weges mit der Herkunft und Rolle des Hermann Josef Abs, der aus der in Nürnberg wegen ihrer Verbrechen im NS-Staat angeklagten Deutschen Bank kam und bald oberster Finanzberater Adenauers wurde, hat Symbolwert für gegensätzliche Wege im Nachkriegsdeutschland.

Es war der Thälmann, der aus dem Proletariat kam und seinen Weg als Arbeiter in die Politik gegangen war: SPD, Gewerkschaften, USPD und KPD – seit 1919 in der Hamburger Bürgerschaft, ab Mai 1923 Mitglied des ZK, von 1925 Vorsitzender der von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Clara Zetkin mitbegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands. In der Kommunistischen Internationale gehörte er zu den bekannten und anerkannten Führern der linken Bewegungen und Parteien, die weltweit gegen Imperialismus, Kolonialismus und Krieg, für die Lebensinteressen der arbeitenden Massen kämpften. Seinen Hamburger Wahlkreis vertrat er von 1924 bis 1933 im Deutschen Reichstag. Unter ihm war die KPD 1925/26 die treibende Kraft in einer Massenbewegung gegen die skandalöse Fürstenabfindung, die an der antidemokratischen Grundhaltung und Interessenvertretung der bürgerlichen Ober- und Mittelschichten und ihrer politischen Sachwalter scheiterte. Jener Ausgang verriet die Ignoranz und den Zynismus der herrschenden Klasse gegenüber der durch Krieg, Nachkrieg und Krisen verursachten Verelendung von Millionen.

Der KPD-Vorsitzende Thälmann wirkte in der Zwischenkriegszeit, insbesondere in der Phase der Rechtsentwicklung der deutschen bürgerlichen Gesellschaft, der Weltwirtschaftskrise, der Notverordnungsdiktatur ab 1930, des Scheiterns der Weimarer Republik und der Errichtung des deutschen Verbrecherstaate ab Januar 1933. Es war Thälmann, der in der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 gegen die Kandidaten der gemäßigten und der äußersten Rechten Hindenburg, Hitler und Duesterberg antrat und über 13 % der Stimmen erhielt. Es war die einzige grundsätzliche Alternative, die in dieser Wahl gegen den Vormarsch der Rechten sichtbar wurde. Das verriet auch der Wahlslogan „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Die KPD und ihr Vorsitzender setzten den konsequenten Antikriegskurs von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg angesichts neuer Herausforderungen fort. Im Frühjahr 1945 wurde der Weltöffentlichkeit bewusst, in welchem tragischen, globalen Ausmaß sich die Thälmannsche Voraussage von 1932 erfüllt hatte.

Thälmann wurde in seiner Zeit und international zum Inbegriff für prinzipienfesten Widerstand gegen Faschismus und Militarismus, gegen die drohende faschistische Diktatur und die Kriegsgefahr, im Eintreten für die Lebensinteressen des Proletariats und aller Lohnabhängigen sowie mit dem selbstlosen Einsatz für diese Ziele und Forderungen. Er blieb nicht unberührt von widersprüchlichen und Fehlentwicklungen in der kommunistischen Weltbewegung und den Auswirkungen des Stalinschen Regimes in der Sowjetunion und der Komintern. Das hebt seine geschichtlichen Verdienste nicht auf, die vor allem von den Hoffnungen und Kämpfen der KPD, ihrer Mitglieder, Sympathisanten und Wähler, auch ihren Opfern und Leiden, getragen wurden. Vorherige, durchaus auch schwerwiegende Fehler, die vielfach an der Basis, in der Abwehr nazistischer Attacken und Provokationen kaum bestimmenden Einfluss hatten, traten in der kritischen Phase von 1932/33 zurück.

Neben der SPD war es allein die Fraktion der KPD mit dem Parteivorsitzenden Thälmann als ihrem Mitglied, die in den beiden letzten Reichstagen der Weimarer Republik die Interessen der ArbeiterInnen, aller Lohnabhängigen und kleinen Leute, aber auch den Antimilitarismus und die Belange der Friedenssicherung vertrat, die parlamentarischen Rechte verteidigte und daraus erwachsende Pflichten wahrnahm. Die Rede der Alterspräsidentin Clara Zetkin zur Eröffnung des Reichstages am 30. August 1932 richtete sich mutig und uneingeschränkt gegen die Faschisten; es gab kein polemisches Wort an die Adresse der Sozialdemokraten. Bei der Konstituierung des Reichstags erklärte die KPD-Fraktion ihre Bereitschaft, für den Kandidaten der SPD zu stimmen, um die Wahl des Faschisten Göring zum Reichstagspräsidenten zu verhindern. Die vorherigen Kungeleien von Zentrum und BVP, die Vorgängerinnen von CDU und CSU, vereitelten eine solche Chance von vornherein: Sie hatten die Modalitäten ihrer Kapitulation mit der NSDAP abgestimmt, verzichteten von vornherein auf eigene Kandidaten für das Amt des Reichstagspräsidenten, stimmten bereits im ersten Wahlgang für Göring und erhielten die Nazistimmen für ihren Vizepräsidenten und weitere Präsidiumsmitglieder.

Gegen Anträge von SPD und KPD höhlte das „nationale“ Präsidium die Rechte und Pflichten des Parlaments aus. Am 30. Januar 1933 stellten nur SPD und KPD nahezu gleichlautende Anträge, die Hitler-Regierung abzuberufen. Einer Einsicht oder gar Warnung angesichts einer sich abzeichnenden riesigen Bedrohung Europas und der Welt waren sämtliche bürgerliche Parteien und Politiker noch zu diesem Zeitpunkt unfähig und auch nicht gewillt. Bereits wenige Monate später kapitulierten sie völlig und ermöglichten mehrheitlich den Weg zu Hochrüstung, Eroberung und Vernichtung.

Der Vorsitzende der KPD wurde bereits am 3. März 1933 verhaftet. Am 5. März nochmals in den Reichstag gewählt, wurden die 81 Mandate der KPD am folgenden Tag annulliert und damit die bürgerliche Zweidrittel-Mehrheit für die Annahme des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 sichergestellt. Nie vor Gericht gestellt, begannen für Thälmann fast 11 ½ Jahre Haft an wechselnden Orten, darunter Berlin, Hannover, Bautzen. In der Haftzeit erfuhr er internationale Solidarität und Würdigungen von Maxim Gorki und Romain Rolland bis zu Heinrich Mann und Martin Andersen Nexö, als Ehrenname von Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg und mit ihm gewidmeten Kampfliedern. Als eine von vielen Vergeltungsmaßnahmen nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 befahl Hitler am 14. August im ostpreussischen Führerhauptquartier Himmler, Thälmann „ist zu exekutieren“.

Während Thälmann, Breitscheid und viele andere in Buchenwald, Mittelbau-Dora, Jonastal und anderen Orten ums Leben kamen oder bleibende Schäden und Traumata erfuhren, wurde Konrad Adenauer gemäß eigener, späterer Ausssage von einem Kommunisten im Buchenwalder Außenlager Messe Köln Ende August/Anfng September 1944 das Leben gerettet. Sein Helfer, der damals bereits seit Jahren inhaftierte Kommunist Eugen Zander, kam selbst noch nach Buchenwald, aber er überlebte und konnte im April 1945 nach Köln zurückkehren. Seine Klassenposition hinderte Adenauer, mit den Erfahrungen seit 1933 und im Jahre 1944 die Grenzen seiner Herkunft und Geisteshaltung zu überschreiten sowie sein politisches Selbstverständnis und Wollen zugunsten eines wirklichen Neubeginns zu finden.

Wir würdigen Thälmann, die KPD und weitere mit ihnen verbundene Nazigegner nicht zuletzt dadurch, dass wir den andauernden, vielfach eher noch zunehmenden Geschichtsfälschungen und Diffamierungen entgegentreten. Diese werden durch Politik und Medien, Schulbücher und Schriften der politischen Bildung, auch Beiträge von Wissenschaftlern, verbreitet. Das seit Beginn der neunziger Jahre zusätzlich ausgebaute Netzwerk antikommunistischer Massenbeeinflussung – darunter die Stiftung Ettersberg – verstärkt auftragsgemäß diese rechtsgerichteten Oientierungen. Die beamtete Geschichtswissenschaft unterstützt mehrheitlich direkt oder durch Indifferenz die herrschende Geschichtspolitik und -ideologie.

Der Abgeordnete Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) äußerte gegen die LINKE und ihren Antrag zur Würdigung des kommunistischen Widerstandes am 11. November 2010 im Bundestag: „Das, was Sie als kommunistischen Widerstand gegen das NS-Regime bezeichnen, ist – zumindest 1933/34 – die Fortsetzung der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten aus der Zeit vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, nur mit dem Unterschied, dass NSDAP und KPD nicht länger in Konkurrenz hinsichtlich der Beseitigung der Weimarer Demokratie standen, sondern die Nationalsozialisten die Macht mittlerweile erobert hatten.“ Nach Kriegsende sei es Wirklichkeit geworden: „Jene, die vorher gemütlich in ihren östlichen Widerstandsnestern bei Väterchen Stalin ausgeharrt hatten, kamen nun nach Ostberlin zurück und errichteten dort genau das, was sie wollten: die zweite Diktatur auf deutschem Boden.“

Die maßgeblich von den Unionsparteien repräsentierten Kräfte erweisen sich mit derartigen Entstellungen und Denunziationen der Verfolgten und des Widerstandes, mit solcher Beleidigung und Häme, als geistig-moralische Erben und Fortsetzer des Mitläufertums, wenn nicht gar der Täter, in Nazidiktatur und Weltkrieg. Die Verdrängungen der Nachkriegszeit werden modifiziert fortgeschrieben. Unter ihren Fittichen sichern die juristischen Nachfolger der „Ungesühnten Nazijustiz“ – wie beispielsweise am 20. April und am 17. August in Jena – , dass faschistische Organisationen mit Hetze gegen links führender Naziverbrecher wie Hitler und Hess in öffentlichen Fackelzügen gedenken und damit die Fortsetzung solcher Verbrechen gegen die Menschheit propagieren können. Demokratische Gegenpositionen werden missachtet, behindert oder diskriminiert.

Der Bundestag beriet am 8. November 2012 abschließend über den Antrag der Linksfraktion „Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen“ (Drucksachen 17/2201, 17/11262). Der Innenausschuss empfahl die Ablehnung. Diese erfolgte mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und SPD – gegen die Stimmen der LINKEN und der Grünen. Natürlich kann der kommunistische Widerstand längst nicht mehr summarisch unterschlagen werden oder an Gedenkorten völlig ausgelassen werden. Es geht jedoch längst um mehr und es zeigt sich, dass fundamentale Defizite sowie Feindbilder bundesdeutscher Gedenk- und Erinnerungspolitik seit 1949 andauern oder sogar weiter zunehmen.

Die von den Unionsparteien repräsentierten Hauptkräfte und Führungskreise der deutschen Rechten benutzen seit Gründung der BRD ihren Einfluss dafür, dass der kommunistische Widerstand und seine zahlreichen Opfer im öffentlichen Bewusstsein des Landes kein Gesicht bekommen und sie in ihrer vielgestaltigen menschlichen Qualität und Tragik vage und weitgehend unbekannt bleiben. Wo sind die Veröffentlichungen der zahlreichen staatlichen Einrichtungen politischer Bildung und die Schulbücher, wo die Publizistik und die Erzählungen, die Filme und TV-Serien, die Ausstellungen usw., die die Persönlichkeiten und die Lebenswege, die Verfolgung und den Widerstand, die Emigration, das Leiden und Sterben Tausender KommunistInnen, Sozialisten und Pazifisten nachzeichnen und möglichst vielen Menschen – insbesondere der jungen Generation – nahebringen? Es bedurfte und bedarf dafür keiner Zensur im herkömmlichen Sinn – die verinnerlichte und mit äußerlicher Nachhilfe abgesicherte antikommunistische Grundstimmung setzt sich als politisch erwünscht und bestimmend durch.

Es ist der Ungeist, der zum Verbot der KPD geführt hatte, an dessen 60. Jahrestag gestern zu erinnern war. Dazu gehört, dass die unmittelbare Vorgeschichte dieser erneuten amtlichen Kommunistenhatz bereits im Oktober 1950 mit dem „Adenauer-Erlass“ zur Diskriminierung der KPD und ihr nahestehender Organisationen sowie mit der Antragstellung des Verbots beim BVG 1951 begonnen hatte. Bald standen Antifaschisten wieder vor Gericht gedienten Nazijuristen gegenüber. Es war Bedingung wie Folge der im September 1949 eingeleiteten Schlusstrichpolitik zu Faschismus und Zweitem Weltkrieg: Bewusster, öffentlich und programmatisch geltend gemachter Antifaschismus war für die Restauration ein Störfaktor ersten Grades und konnte nicht hingenommen werden.

Eine neue fundierte Veröffentlichung weist nach, dass auch die SPD-Führung frühzeitig diesem Druck nachgegeben und dadurch Mitverantwortung für schwerwiegende Versäumnisse bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung auf sich geladen hat.(4) Heute steht sie den Unionsparteien bei, überfällige Ansprüche der Opfer des kalten Krieges auf Rehablitierung und Wiedergutmachung zu verweigern; zahlreiche Betroffene mussten inzwischen diese Demütigung bis zu ihrem Lebensende erleiden.

Die Bundesrepublik wurde mit ihrer Gründung ein Glücksfall für die Mitläufer und Täter des Dritten Reiches und zugleich Inbegriff der Missachtung, Diskriminierung und neuen Verfolgung für Verfolgte, Opfer und Widerstandskämpfer. Wo werden die Nachkriegskarrieren ihrer Henker in der Bundesrepublik mit künstlerischen Mitteln kritisch und massenwirksam in Erinnerung gerufen – die der Täter bei Gestapo, SA, SS und SD, der Staatsanwälte und Richter, der journalistischen, belletristischen, pädagogischen, akademischen und geistlichen Schreibtischtäter von Verfolgung und Vernichtung? Die Suche nach positiven Beispielen solcher Aufklärung bleibt – bis auf seltene, anerkennenswerte Ausnahmen – vergeblich.

Haben die für sich genommen wertvollen und unverzichtbaren Erinnerungen an die Weiße Rose, an Anne Frank und den Attentäter Georg Elser, an den überwiegend späten bürgerlich-aristokratischen und militärischen Widerstand, für konservative Kräfte seit Jahren nicht auch die Alibifunktion, die politischen Hauptströme von Verfolgung und Widerstand der Arbeiterbewegung zu marginalisieren und in ihrer Dimension, Einsatzbereitschaft und Opferbilanz weitgehend unbekannt zu lassen sowie vergessen zu machen?

Ein weiterer Aspekt zur gleichen Grundtendenz: Wer mit Politikern, Behörden und Justiz der DDR Probleme hatte und dabei auch Willkür und Unrecht erlebte, erfährt in der aufklärungsfeindlichen, primär stets und überall gegen links gerichteten Atmosphäre dieses Landes eine ungleich höhere öffentliche Beachtung und Wüdigung als jene, die aufgrund ihres Widerstandes gegen Naziterror und Krieg am Galgen oder auf dem Schaffott oder im KZ endeten – oft in der Blüte ihres Lebens, aber ihren Überzeugungen und Idealen folgend und im Wissen um die Gefahr, in die sie sich begaben.

Es wird sichtbar, warum der DDR um jeden Preis der Stempel Diktatur verliehen werden muss: Ihm kommt sprachlich und konzeptionell eine Schlüsselrolle im Geschichtsrevisionismus zu, der der Klischees und Schwarz-Weiß-Bilder bedarf. Die zentrale Formel in der Gedenkstättenkonzeption der Bundesrepublik seit 1999 ist die Beschwörung der Erinnerung an „zwei deutsche Diktaturen und ihre Opfer“. Diese unsägliche Zusammenfassung bezeugt weiterhin, dass der deutsche Verbrecherstaat bis heute im offiziellen Selbstverständnis dieses Landes nicht hinreichend aufgearbeitet und überwunden ist. Es ist überfällig, die überkommene bundesdeutsche Feindseligkeit gegen die Hauptströme des Antifaschismus und gegen die antifaschistische Herkunft der DDR, die bis in den Bundestag hinein verhöhnt und beleidigt werden, endlich als eine der Quellen und Komponenten der neu und massiv aufkommenden Rechtsbewegungen zu benennen.

Jawohl, es gibt Lücken in den Geschichtsbüchern über die DDR, aber nicht hauptsächlich solche, die inzwischen sogar manche Linken heute aus der antikommunistischen Überflutung übernehmen. Vielmehr beispielsweise solche über die Lebenswege, Erfahrungen und Leitbilder der Gründergeneration der DDR, über ihre Motive und Ziele einer alternativen deutschen Staatsgründung. Es gehört zu den Verdiensten der DDR, was seit ihrer Gründung und im Gegensatz zur Bundesrepublik für die Erinnerung und das Gedenken an Antifaschismus, seine Ideen, Kämpfe und Opfer geleistet und selbstverständlich wurde und trotz allem bis heute nachwirkt. Vielen altbundesdeutsch Sozialisierten ist das bis heute weitgehend unbekannt – bis in die Reihen der Linken hinein. Weithin bleibt die ebenso massive wie voreingenommen-selbstgerechte Sichtweise von Fremdheit und Feindseligkeit geprägt. Bisher ist es jedoch trotz langjährigen riesigen Aufwandes nicht gelungen, auch diese „Folge der SED-Diktatur“ abschließend zu denunzieren und zu verdrängen.

Die längst staatlich und medial aufgedrungene Formel vom „verordneten Antifaschismus“ soll die tatsächliche und prinzipielle Feindseligkeit gegen den Antifaschismus, die der herrschenden Politik und Ideologie in der Bundesrepublik von Anbeginn eigen war, sprachlich als angemessen und legitim erscheinen lassen. Der Streit um die DDR, wie er seit Ende 2014 unter der Linkskoalition in Thüringen neu auflebt und bis weit über das linke Spektrum hinaus unumgänglich und fortzuführen ist, muss auch als ein wesentlicher Teil des Streits um Antifaschismus und Antimilitarismus in Deutschland und Europa seit 1914, 1919 und 1933, aber auch nach 1945 und in beiden deutschen Staaten begriffen werden.

Bekennen wir uns zur Tradition und zum Vermächtnis von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck und den Unzähligen ihrer Kampfgefährten, Anhänger und Sympathisanten. Glaubwürdig wird darin hinreichend nur, wer dieses Erbe heute gegen Anfeindungen und Entstellungen zu verteidigen bereit ist – bereit auch, die politischen und ideell-moralischen Schlussfolgerungen gegen heutige, in der Herrschaft und Ordnung des Kapitals wurzelnde Herausforderungen sowie akute Gefährdungen und Verbrechen schonungslos zu benennen und sich ihnen zu stellen. Tragen wir dazu bei, dass vor allem unter nachwachsenden Generationen Persönlichkeiten wie Ernst Thälmann und überhaupt die historischen Lektionen zu Krieg und Frieden, zu Faschismus und Humanismus bewusst und lebendig bleiben.

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(1) Lea Grundig: Gesichte und Geschichte, Berlin 1960, S. 140.
(2) Zit nach Käthe Kollwitz: Bekenntnisse, Reclam, Leipzig 1981, S. 71f.
(3) Greta Kuckhoff: Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle. Ein Lebensbericht, Berlin 1972, S. 175.
(4) Kristina Meyer: Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945 – 1990, Göttingen 2015.