Gedenkworte zum 76. Todestag von Rudolf Breitscheid am 24. August 2020

7. September 2020

Im Namen des Landesvorstandes des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten und der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora möchte ich heute: erinnern, gedenken und mahnen.

Erinnern

Rudolf Breitscheid wurde im Herbst 1943 zusammen mit seiner Frau Tony aus dem KZ Sachsenhausen nach Buchenwald überstellt und kam hier in das Sonderlager “Fichtenhain“, welches für prominente Häftlinge vorgesehen war.
Im Sommer des gleichen Jahres bildete sich das Internationale Lagerkomitee, ein konspiratives Organ von Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald, welches unter Leitung des deutschen Kommunisten Walter Bartel als illegales Zentrum der politischen Nazigegner den Widerstand im Lager organisierte.

Dieses Lagerkomitee versuchte natürlich umgehend mit Breitscheid im Sonderlager in Verbindung zu treten, sobald sie von dessen Anwesenheit erfahren haben. Nach einigen Bemühungen ist das auch gelungen. Es war der heutige Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos sowie Vorsitzendender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, Günter Pappenheim, der Breitscheid traf.

– Der Vater von Günter Pappenheim war übrigens Ludwig Pappenheim, damals bekannter Sozialdemokrat, welcher im KZ Börgermoor ermordet wurde –

Günter Pappenheim schildert den Kontakt zu Rudolf Breitscheid folgendermaßen:
„Im August 1944, als Ernst Thälmann hier ermordet wurde, war ich der neunzehnjährige politische Häftling Nr. 22.514 und gehörte dem Kommando Gerätekammer an. Zu meiner Aufgabenerfüllung war von der SS die Berechtigung erteilt worden, dass ich zur Arbeit das Häftlingslager verlassen durfte. Eines Tages wurde ich in die Baracke 15 befohlen, eine frühere Wohnbaracke der SS außerhalb des Häftlingslagers, von einer Mauer umgeben. Prominente Gefangene waren dort untergebracht, unter ihnen der Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid. Bei ihm sollte ich das Schloss einer Schranktür reparieren. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nichts über Breitscheid. Nachdem ich meinen Auftrag erfüllt hatte, sprach ich mit meinem Kapo, dem Kommunisten Walter Wolf, darüber und er klärte mich über die Rolle Breitscheids in der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung auf. Es gelang nicht, dass ich erneut zu ihm in Kontakt treten und wie geplant eine Verbindung für den illegalen Lagerwiderstand herstellen konnte.“

Gedenken

Ein erneuter Kontakt war leider deshalb nicht möglich, da am 24. August 1944 um die Mittagszeit die alliierte Luftwaffe die Rüstungsanlagen des KZ Buchenwald, – also

die Deutschen Ausrüstungswerke und das Werk Gustloff II – sowie diverse SS-Einrichtungen auf dem Ettersberg angriff.
Es entstanden schwere Brände. Zerstört wurde neben den beidein Rüstungsindustrie-Anlagen auch der Bahnhof, Verwaltungsgebäude, SS-Einrichtungen, Wohnhäuser von SS-Angehörigen und nicht zuletzt das benachbarte Sonderlager „Fichtenhain“.

Der polnische Häftling Stanislaus Rosploch berichtet später:
“Am 24. August 1944, nach erfolgtem Bombardement, begab ich mich außerhalb des Lagers zu den Baracken, die ich mit Kohlen, Holz, Wäsche und dergleichen versorgen musste. Hierzu zählte auch die Baracke 15, die sogenannte Isolierbaracke, in der der ehemalige SPD-Politiker Rudolf Breitscheid, seine Frau Toni und die Prinzessin Mafalda, Tochter des ehemaligen Königs Emanuel von Italien, eingesperrt waren.
[…] schon von weitem sah ich, dass die Baracken nur noch ein schwelender Aschenhaufen waren […] Die Baracke war niedergebrannt, die schwelenden Planken seitwärts zerfallen. Ich begab mich zu dem in etwa vier bis fünf Meter von der Baracke entfernt liegenden Splitterschutzgraben und stellte fest, dass der Splitterschutzgraben von einer etwa sechs Meter davon entfernt eingeschlagenen Bombe zur Hälfte verschüttet und die Insassen zugedeckt waren. Nur der Kopf der Mafalda, von der Hilferufe kamen, war zum Teil frei.
[…] wir begannen mit der Bergung der Verschütteten. […] Frau Breitscheid war bewusstlos, aber sie lebte. Sie wurde freigelegt und zunächst an der Straße nieder gebettet. Nach ihr wurde nun auch die Mafalda dorthin gebracht. Nun ging es an die Bergung Breitscheids, der als letzter im Graben, auf einer Fußbank hockend, völlig verschüttet war. Nur eine Hand ragte aus der Erde hervor. Über ihm lag die Erde am höchsten. Als ich ihn von der Erde befreite hatte, stellte ich fest, dass er bereits tot war. Auch ihn schafften wir zur Straße und legten ihn dort nieder.“

Niemand kann sagen, ob die Nazis Rudolf Breitscheid nicht auch umgebracht hätten, wenn er nicht an diesem Tag als Opfer des Bombenangriffs gestorben wäre. Schließlich war hier das Sterben eine traurige Alltäglichkeit. 56.000 Häftlinge wurden in den Jahren des Bestehens des Konzentrationslagers Buchenwald erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt.

Mahnen

Carl von Ossietzky, KZ-Häftling in Esterwegen, schrieb vor seinem Tode: „Ob wir überleben,
ist weder sicher noch die Hauptsache.
Wie man später von uns denken wird, ist so wichtig wie,

dass man an uns denken wird.
Darin liegt auch unsere Zukunft.
Danach müssen wir hier leben, solange wir atmen. Ein Deutschland, das an uns denkt,
wird auch ein besseres Deutschland sein“

In diesem Sinnne sind wir verpflichtet aus der Vergangenheit zu lernen, in der Gegenwart zu wirken und die Zukunft zu gestalten.
Und ich bin mir sicher, dass Rudolf Breitscheid, hätte er überlebt, am 19. April 1945 den Schwur von Buchenwald zusammen mit den anderen 21.000 überlebenden Häftlinge auf dem Appellplatz ablegten hätte:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Welt steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Dieser Schwur ist nicht nur unsere Verpflichtung, sondern auch eine Mahnung. Dies im Blick habend, schrieb der Buchenwaldüberlebende Günter Pappenheim an den Bundesfinanzminister und SPD Kanzlerkandidaten Olaf Scholz anlässlich des Entzuges der Gemeinnützigkeit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten:

“Es kann Ihnen, Herr Minister, nicht verborgen geblieben sein, wie immer dreister, frecher, anmaßender, gewaltsamer und öffentlichkeitswirksamer rechtsextremistische Kräfte handeln! Unter diesen Bedingungen zielgerichtet Gegenbewegungen auszuschalten, ist nicht nur grob fahrlässig, sondern höchst gefährlich.“

(1. Brief, Dezember 2019)

„Ich als Überlebender des KZ Buchenwald empfinde das […] als erniedrigende Beleidigung und als durch nichts zu rechtfertigende Verhöhnung unserer toten Kameradinnen und Kameraden.
[…]

Antifaschismus ist in höchstem Grade gemeinnützig – das beweist die Vergangenheit eindeutig.“
(2. Brief, Juli 2020)

Lassen Sie mich Ihnen daher bitte abschließend folgende Worte von Günter Pappenheim mit auf den Weg geben:
„Es kommt nicht darauf an, Recht zu behalten, sondern nur darauf, dass das Richtige geschieht.“