Angeordneter Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen

15. April 2013

In Buchenwald wurde dieser Massenmord von September 1941 bis mindestens 1943 praktiziert. An die damaligen Ereignisse erinnert sich der Buchenwaldüberlebende Ottomar Rothmann in seiner Rede am 68. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald zur Veranstaltung „4. Treffen der Nachkommen“ am 14. April 2013.

Von Ottomar Rothmann

Im Schießstand der Deutschen Ausrüstungswerke neben dem Lager erschießt die SS im September 1941 die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen. Später richtet sie in einem umgebauten Pferdestall westlich des Lagers eine Erschießungsanlage ein, die sie bis Ende 1942 nutzte.SS Leute, verkleidet mit Ärztemänteln töteten die Gefangenen durch Genickschuss.Später wurde die Ermordung durch Erhängen im Keller des Krematoriums durchgeführt. Vom SS-Kommando „99“ werden in den zwei Jahren über 8000 sowjetische Kriegsgefangene durch Genickschuss ermordet.

Auch Zivilgefangene, darunter auch Frauen kamen nach Buchenwald. So auch in unseren Häftlingsblock, den Block 17. Ich war seit 1943 politischer Schutzhäftling mit der Häftlingsnummer 6.028 auf dem Block 17 des Konzentrationslagers Buchenwald. Dieser Block hatte eine besondere Bedeutung. Er galt als Zugangsblock, auch Isolierblock und war mit einem Stacheldrahtverhau von den anderen Blocks abgetrennt. Alle Zugänge, außer den größeren Transporten, kamen für ca. 14 Tage auf Block 17, bis die Kameraden nach dieser Zeit auf die anderen Blocks, entsprechend ihrer Nationalität verlegt wurden. Eine weitere Besonderheit bestand darin, dass alle Außenkommandos von Buchenwald dem Block 17 zugeordnet waren. Wer von den Kameraden z.B. Genehmigung hatte, Post zu schreiben oder zu senden, musste als Anschrift immer KL Bu Block 17 angeben. Die meisten von ihnen haben den Block von innen gar nicht gekannt.

Auf diesen Block 17 war ich als Schreiber eingesetzt. In dieser Eigenschaft bekam ich davon Kenntnis, dass seit ca. 1944 auch Frauen in den Außenkommandos von Buchenwald eingeliefert werden. Im Sommer 1944 wurden auch wir auf dem Block von Folgendem überrascht: Von der Häftlingsschreibstube wurde mir, zu meiner Verwunderung vom Kapo mitgeteilt, dass noch am gleichen Abend nach dem Appell unser Block auf Befehl des Rapportführers geräumt werden muss. Nur die Kameraden, die ständig auf dem Block arbeiten, wie Blockältester, Schreiber und Stubendienst müssen auf dem Block verbleiben. Einen Grund für diesen Befehl konnte der mir sonst meist gut informierte Kapo der Schreibstube, Hans Neumeister, nicht nennen. Gleichzeitig wurde mir die Liste übergeben, nach welcher ich die Kameraden auf andere Blocks zu verlegen hatte. Im Dauerlauf begab ich mich zurück auf unseren Block, um schnell alle Vorbereitungen für diesen Umzug zu treffen. Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass gegen 22.00 Uhr alles durchgeführt war.

Am anderen Vormittag- wir waren gerade mit dem Reinigen des Blockes fertig geworden- wurde der Blockälteste zur Schreibstube gerufen. Wir waren beide überrascht, als wir erfuhren, dass ein Transport russischer Frauen auf dem Block untergebracht werden sollte. Der Befehl des Kommandanten Hermann Pister, dass kein anderer Häftling zu diesen Frauen Kontakt aufnehmen darf, wurde uns ebenfalls übermittelt. Es war gegen Mittag, als die angekündigten weiblichen Häftlinge vom Blockführer Schramm dem Blockältesten Otto Storch übergeben wurde. Sie waren Frauen aller Altersgruppen.

Sie waren in einem schwachen körperlichen Zustand, sehr ausgehungert und mangelhaft gekleidet. Die Verständigung zwischen uns klappte durch Gesten und Sprachbrocken wunderbar. Unsere Kameradinnen aus dem fernen Russland spürten sofort, dass vor ihnen andere Deutsche standen. Deutsche, die mit ihnen im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus vereint waren. Es sei erspart zu erwähnen, welchen Demütigungen unsere Frauen von den SS Banditen ausgesetzt waren.

Die Ankunft von Frauen und Mädchen im Lager löste eine Welle der Solidarität aus. Von jedem Block wurden gesammelte Rationen Lebensmittel, wie Brot, Margarine, Marmelade, aber auch Bekleidungsstücke gebracht und übergeben. Sie spürten die Solidarität und die ganze Liebe des Häftlingslagers. Dieser Akt der Häftlingssolidarität war eine wichtige Aufgabe im Überlebenskampf hinter Stacheldraht.

Es gab aber noch mehr zu tun. Viele russische Kameraden wollten wissen, ob ihre Mütter, Frauen, Schwestern, Töchter oder andere Verwandte unter den hier Eingelieferten waren. Auch Zusammentreffen sollten wir ermöglichen. Den gleichen Wunsch hatten natürlich auch unsere Frauen. Wir nutzen die Dunkelheit, um entgegen dem Befehl des Kommandanten die inzwischen mit Hilfe der Häftlingsschreibstube ermittelten Angehörigen heimlich in den Block einzuschleusen. Es finden sich keine Worte, um dieses Wiedersehen im Block 17, dem Quarantäneblock, zu schildern. Fest steht, dass mir und anderen Kameraden dieses Erlebnis neue Kraft gegeben hat, die Anstrengungen hinter Stacheldraht zum Kampf gegen die Faschisten zu erhöhen. Unsere Frauen verblieben einige Tage auf unserem Block, bevor sie in das berüchtigte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück abtransportiert wurden. Jeder Handschlag, jede Umarmung und jeder Kuss beim Abschied sind unvergesslich in Erinnerung geblieben. Wir trennten uns in der Gewissheit, dass die Stunde des Sieges über den Faschismus nicht mehr fern ist. Jetzt hatten wir auch die Gewissheit, und nicht mehr nur die Hoffnung.

Trotz der Kürze ihres Aufenthaltes in Buchenwald, werden unsere Frauen Buchenwald nicht vergessen können. Ja so ist es wirklich, Buchenwald kann man nicht vergessen, nicht die Qualen und Demütigungen, nicht die grauenvollen äußeren Umstände und Lebensbedingungen im Lager. Aber unvergessen bleibt auch die Hilfe und Solidarität, der gemeinsame Wille zum Überleben der Kameraden hinter Stacheldraht. Diese Tatsache kommt auch im Refrain des Buchenwaldliedes zum Ausdruck. Da heißt es u.a.: „Oh Buchenwald ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer Dich verließ der kann es erst ermessen, wie Wundervoll die Freiheit ist.“

Am 19. April 1945 haben wir auf unserer Trauerkundgebung auf dem ehemaligen Appellplatz u.a. geschworen: „ Der Aufbau einer neuen Welt des Frieden und der Freiheit ist unser Ziel.“

Ein Blick in unsere Geschichte verpflichtet uns, alle Kraft gegen Neo- Nazis, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz in jeder Form einzusetzen. Das sind wir unseren demokratischen Freiheiten schuldig.

4. Treffen der Nachkommen in Buchenwald

15. April 2013

Im überfüllten Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald fand am 14. April 2013 das 4. Treffen der Nachkommen von Buchenwald statt.

Von Gerhard Hoffmann

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Gäste zum 4. Treffen der Nachkommen in Buchenwald

Im Rahmen der Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages der Selbstbefreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers nimmt das Treffen der Nachkommen einen festen Platz ein, wenngleich ihm teilweise noch immer mit Ignoranz begegnet wird. Das 4. Treffen der Nachkommen, zu dem die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora (LAG) für den 14. April 2013 in den Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald eingeladen hatte, setzte eine Tradition fort, die immer stärkere Resonanz auch bei jüngeren Menschen findet. Wieder trafen sich ehemalige Häftlinge, Hinterbliebene und Nachkommen von Häftlingen, Antifaschistinnen und Antifaschisten aus der ganzen Bundesrepublik, um sich gegenseitig kennenzulernen, um den Austausch von Gedanken zu pflegen. Die Plätze im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald reichten nicht aus, um alle Interessierten aufzunehmen. Unkompliziert besetzten die Jüngeren Stufen, um Betagteren Platz in den Sesseln zu bieten. Eine Gruppe ehemaliger Häftlinge aus der Ukraine, aus Belarus und Russland war der Einladung der LAG gefolgt und wurde mit besonderer Herzlichkeit begrüßt, war doch die Zusammenkunft aus Anlass des 68. Jahrestages der Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ dem solidarischen antifaschistischen Widerstand bei Ankunft der Massentransporte sowjetischer Kriegs- und Zivilgefangener 1943 in Buchenwald gewidmet.

Bereits am Vortag wurde an den Fundamenten des ehemaligen Pferdestalls der bestialischen Ermordung von über achttausend sowjetischen Kriegsgefangenen gedacht. Wilfried Beater erinnerte daran, dass unter den Ermordeten auch Genossen seines Vaters gewesen sein können, der als Kommunist zur Roten Armee übergelaufen sei, in ihren Reihen gegen den faschistischen Feind als anerkannter und geachteter Genosse gekämpft hatte und so das andere Deutschland erkennen ließ. Zitate aus Zeitzeugenberichten von Karl Barthel und Richard Kucharczyk erinnerten an die Mordorgien der SS in der Genickschussanlage, zugleich an das solidarische Verhalten der Häftlinge gegenüber sowjetischen Kameraden. Am Gedenkstein für das sowjetische Kriegsgefangenenlager wurde mit Blumengebinden und still der vielen Opfer gedacht.

Auf der großen Filmleinwand gezeigte Fotos ehemaliger deutscher Häftlinge des KZ Buchenwald und einiger ihrer Kameradinnen und Kameraden aus der Sowjetunion stimmten das Gedenken im Kinosaal der Gedenkstätte ein. Es handelte sich diesmal um Fotos solcher deutscher Häftlinge, die in besonderer Weise den sowjetischen Häftlingen verbunden waren.

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Ottomar Rothmann, Günter Pappenheim, Prof. Dr. Heinrich Fink, Boris Romatschenko

Professor Heinrich Fink, Vorsitzender der VVN-BdA, eröffnete das diesjährige Treffen, an dem auch Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates deutscher Sinti und Roma, Vertreter der Jüdischen Gemeinde, die Bundestagsabgeordneten der Fraktion Die Linke Kersten Steinke und Jens Petermann, der Vorsitzende des Fördervereins Buchenwald e.V. Dr. Volkhardt Germer sowie Abgesandte der Botschaft Russlands in der BRD teilnahmen.

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In seiner Begrüßung erklärte der ehemalige Häftling Nummer 22.514 und jetzige Vorsitzende der LAG, Günter Pappenheim, dass die Solidarität im Lager ein bedeutsames Überlebensmittel war, was nicht vergessen werden dürfe, weil es zur Erinnerung gehört. Das sei umso wichtiger, als Bestrebungen sichtbar sind, es vergessen zu machen. Bezug nehmend auf die Aktualität des Schwurs von Buchenwald bezeichnete er es als zynische Verharmlosung des Faschismus und schwere Beleidigung der Opfer, wenn Neofaschismus heute schnoddrig als Dummheit bezeichnet werde, die sich nicht verbieten lasse, um damit zu rechtfertigen, weshalb die Bundesregierung keinen Antrag zum Verbot der NPD stelle. Das sei verordneter Anti – Antifaschismus. Diesen endlich aufzugeben forderte er energisch und verlangte zugleich, die neofaschistische NPD unverzüglich und nachhaltig zu verbieten. In seinem Grußwort würdigte der Bürgermeister der Stadt Weimar, Peter Kleine, kontinuierliches Gedenken dieser Form und diesen Inhalts als wichtig und bedeutsam für die Bürgerinnnen und Bürger der Stadt, weil es zeige, wie eng das Verhältnis zwischen den ehemaligen Häftlingen, der Stadt Weimar und der Gedenkstätte Buchenwald sei. Buchenwald sei ein Teil Weimars. Er verwies auf die direkte Verantwortung der Stadt gegenüber sowjetischen Kriegs- und Zivilgefangenen, die hier Zwangsarbeit leisten mussten.

Mit einem an historischen Fakten reichen Referat benannte der Historiker Dr. Jens Binner Hintergründe, Zusammenhänge und eine Vielzahl interessanter Details für den ungeheuerlichen faschistischen Terror gegen sowjetische Kriegs- und Zivilgefangene in der Sowjetunion und in den KZ.

Diese sachliche Darstellung unterlegte der ehemalige Häftling Boris Romantschenko mit dem emotional beeindruckenden Bericht über sein Erleben in Buchenwald und im KZ Mittelbau-Dora. Bertrand Herz, Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, verwies in seinem Grußwort auf den hohen Wert der internationalen Solidarität, die den sowjetischen Kriegs- und Zivilgefangenen entgegengebracht wurde. Er und sein Vater hätten Solidarität im Lager als hohes Gut erlebt.

Ottomar Rothmann, Ehrenbürger der Stadt Weimar, ehemaliger Häftling Nummer 6028, sprach über seine Erinnerungen an das Eintreffen der ersten weiblichen Häftlinge aus der Sowjetunion im KZ Buchenwald, was im Häftlingslager eine Welle der Solidarität auslöste. Mit klarer, kräftiger Stimme sprach der heute fast Zweiundneunzigjährige von der unglaublichen Kraft einer freundlichen Geste gegenüber den hungernden, gequälten, gedemütigten Frauen. Das solidarische Verhalten gegenüber den Frauen habe zugleich die eigene Zuversicht gestärkt im Kampf gegen die Faschisten.

Lena Sarah Carlebach las erschütternde Aussagen von Frauen aus der Sowjetunion, die als Zwangsarbeiterinnen in das KZ Buchenwald verschleppt und von dort zu schwerster Arbeit in Außenlager kommandiert wurden. Nina Schalagina musste als Fünfzehnjährige mit ihrer Mutter und der fünfjährigen Schwester ihre von der Wehrmacht niedergebrannte Heimatstadt Klinzy verlassen. Als so genannte Russische Zivilarbeiterin kam sie mit der Häftlingsnummer 36966 in das Außenlager des KZ Buchenwald Hasag Taucha. Dort hatte sie täglich zwölf Stunden in der Granatenproduktion zu arbeiten.

Einer zum Abschluss des 4. Treffens der Nachkommen in deutscher und russischer Sprache vorgetragenen Erklärung stimmten die Anwesenden mit starkem Befall zu. (Wortlaut der Erklärung unter: http://lag-buchenwald.de/2013/04/16/erklarung-zum-68-jahrestag-der-befreiung/#more-646 ) Mit dem Buchenwaldlied wurde das beeindruckende 4, Treffen der Nachkommen in Buchenwald beendet.

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Gedenken an die Opfer der sowjetischen Kriegs- und Zivilgefangenen in Buchenwald

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