Rodeln auf Gräbern Ermordeter
15. Januar 2021
Buchenwald, Ettersberg, Rodeln, Totenruhe, Weimar
Der Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (TVVdN/BdA) verurteilt Pietätlosigkeit der Wintersportler:innen auf dem Ettersberg.
Im Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar und in seinen 139 Außenlagern waren zwischen 1937 und 1945 fast 280.000 Menschen inhaftiert, darunter viele Widerstandskämpfer:innen, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas. Am Ende des zweiten Weltkrieges war Buchenwald das größte KZ im Deutschen Reich. Über 56.000 wurden hier grausam ermordet, erschossen, erhängt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, vergiftet, abgespritzt, sind verhungert, starben durch medizinische Experimente und Auszehrung. In einer eigens errichteten Tötungsanlage wurden allein über 8.000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen.
Wie die Gedenkstätte Buchenwald am 14. Januar diesen Jahres mitteilte, fahren in diesem Winter die Menschen zwischen den Gräbern Schlitten. Am Wochenende seien dort sämtliche Parkplätze belegt gewesen; nicht von Gästen der Gedenkstätte, sondern von Wintersportler:innen. Einige nutzten sogar die trichterförmigen Massengräber als Rodelhang.
„Sportliche Aktivitäten auf dem Boden, der mit so viel Blut getränkt ist, ist vollkommen pietätlos und nicht hinnehmbar“, empört sich die Landesvorsitzende des TVVdN/BdA, Kati Engel. „Die ist nicht nur eine Störung der Totenruhe, sondern tritt das Vermächtnis der Opfer und Überlebenden mit den Füßen.“
Der neue Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, sieht die schwindende Sensibilität der Menschen zu diesem Ort im zeitlichen Abstand begründet. Doch haben die Einwohner:innen von Weimar und seinem Umland schon jeher eine seltsame Beziehung zum Ettersberg und dem darauf befindlichen KZ. So blieb der Ettersberg auch zwischen 1937 und 1945 ein beliebtes Ausflugsziel. Auch damals ging die Weimarer Bevölkerung hier Skilaufen und Rodeln. Die Lagerleitung begrüßte das und war um weitere Freizeitangebote bemüht. So öffnete im Mai 1940 sogar ein Wildtiergehege, welches die SS im Lagergelände errichtet hatte.*
„Die traurige Wahrheit ist also, dass es seit Beginn des Konzentrationslagers Buchenwald nicht unerheblich viele Menschen um den Ettersberg gab und gibt, die mit diesem Ort und seiner Geschichte so gar kein Problem zu haben scheinen.“
*aus Schley, Jens (1999). Nachbar Buchenwald: Die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937-1945 (1. Aufl.). Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, S. 103 f.