76. Jahrestag der Selbstbefreiung von Buchenwald
11. April 2021
Befreiung, Buchenwald, Pappenheim, Pudszuhn, Selbstbefreiung
Gedenkworte auf dem Apellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald von Elke Pudszuhn, Ehrenvorsitzende des TVVdN/BdA:
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
an dieser Stelle im Lager fand am 19. April 1945 der Appell der 21.000 überlebenden Häftlinge des Konzentrationslagers statt. Mein Vater war nicht dabei, er wurde im November auf wundersame Weise durch die Hilfe von Genossen entlassen um „für den Endsieg Waffen zu produzieren“ in seinem Heimatort Zella-Mehlis.
Auch war er nur kurze Zeit in diesem Lager, hatte schon KZ Bad Sulza und Gefängnis Ichtershausen hinter sich 1933 – 1936 und illegal in der Neubauer – Poser – Organisation Widerstand geleistet. Magnus Poser war hier im Krankenbau am 24. Juli seinen Verletzungen erlegen.
War es Verrat oder Willkür nach dem missglückten Versuch, Hitler zu töten, mit den Massenverhaftungen am 20. August 1944, bei der auch er verhaftet wurde? Am 22. August 1944 erhält er die Häftlingsnummer 81706 und kommt in den Block 42.
Im Lager ist ein ständiges kommen und gehen. An der Häftlingsnummer ist erkennbar, dass es im August über 82.000 waren und bei seiner Entlassung im November 60.587 Häftlinge. Vier Tage vor seiner Einlieferung, hatte die SS Ernst Thälmann hinterrücks erschossen und am 24. August wird das Lager und die Werkstätten bombardiert und Rudolf Breitscheid kommt ums Leben.
23 Jahre nach dem Ende von Faschismus und Krieg bei einer Veteranen-reise in die Sowjetunion zu Freunden nach Kiew trifft er Semjon Suchulutzki – es ist der sowjetische Kriegsgefangene aus dem Block 45, gleich neben seinem Block 42, der mit ihm in den Deutschen Aufrüstungswerken arbeitete und dem er nachts von seinem Brot etwas abgegeben hat. Die Freundschaft zu Semjon und seiner Familie blieb bis 1990, dann verliert sich seine Spur.
2004 begegnet mir erstmals bei der Gedenkveranstaltung hier auf dem Ettersberg Viktor Wyscheslawsky, den ich zu Zeitzeugengesprächen mit nach Suhl genommen hatte. Dabei erfahre ich, dass er als Zwangsarbeiter in Suhl gearbeitet hat und durch Verrat erst ins Suhler Gefängnis, dann am 6. Juni 1944 ins KZ Buchenwald und im November 1944 nach Ohrdruf verbracht wird. Auf dem Todesmarsch in Richtung Buchenwald auf zwei Stöcken gestützt und krank erreicht er das Lager kurz vor dem 11. April. In den ersten Monaten des Jahres 1945 kommen fast täglich Transporte, besonders aus Auschwitz, im Lager an und gleichzeitig werden Häftlinge auf Transport oder in den Apriltagen auf Todesmärsche gebracht oder kommen von Todesmärschen an.
Viktor ist am 19. April beim Appell dabei. Er hat uns folgende Botschaft mit auf dem Weg gegeben:
„Liebe Freunde, die Zukunft gehört Ihnen und Sie müssen gegen Faschismus, Nazismus und Terrorismus kämpfen, damit es auf dieser Erdkugel niemals wieder Krieg gibt! Sie müssen den Frieden bewahren! Aber die Gefahr existiert wie früher auch jetzt…“
Viktor Wyscheslawsky
Beim Schwur, den die 21.000 Überlebenden hier am 19. April 1945 leisteten, ist auch der junge 19-jährige Günter Pappenheim, der mit 17 Jahren hier eingeliefert wird, dabei.
Mit seiner Mutter Frieda und seinem Bruder Kurt war ich im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer in der DDR eng verbunden, Günter lebte damals schon in Zeuthen und weit weg, sodass ich ihm erst nach 1990 persönlich kennenlernte im Kampf gegen die Gleichstellung/Gleichmachung von KZ und Internierungslager. Dank ehemaliger politischer Häftlinge, wie Kurt Goldstein, Emil Carlebach und Ernst Jende – um nur 3 Namen zu nennen – konnte das verhindert werden. Günter ist mir in den vergangenen Jahren durch gemeinsame Arbeit in der LAG stets Vorbild gewesen im Kampf um die Verwirklichung des Schwurs, der ja auch heute noch nicht verwirklicht ist, und um dessen Verwirklichung wir Nachgeborenen der Buchenwalder weiter kämpfen müssen, deshalb sind wir hier und erneuern den Schwur.
Nun ist Günter am 31.März verstorben und wir stehen hier erstmals ohne ihm an dieser Gedenkplatte. Die Trauer ist grenzenlos, ich kann es auch schlecht in Worte fassen, aber eins ist gewiss, er möchte nicht, dass wir nur um ihn trauern, gönnen wir ihm die Ruhe. Ich höre ihn sagen:
Tragt den Schwur, den wir geleistet haben, weiter. Berichtet über den Kampf eurer Väter und Mütter gegen den Faschismus, zeigt ihnen das Lager mit all seinen Grausamkeiten und vergesst nicht, dass es trotzdem Solidarität, Zusammenhalt und humanitäre Hilfe gab, die vielen Häftlingen das Leben retten konnte, so wie mir.
In diesem Sinne, bitte ich um eine Schweigeminute.