Gedenken an Suhler Antifaschist:innen

7. Januar 2022

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Rede von Elke Pudszuhn (BG Südthüringen)

Am 5. Januar 1945 wurden acht Antifaschist:innen der Widerstanssgruppe „Friedberg“ im „20-Sekunden-Takt“ im Lichthof des Landesgerichtsgefängnisses Weimar hingerichtet. Am Mittwoch, den 5. Januar 2022 gedachten Angehörige, Freund:innen und Mitglieder des TVVdN/BdA am Gedenkstein an der Wendeschleife Friedbergsiedlung der Ermordeten. Für unseren Verband sprach Elke Pudszuhn die Gedenkworte:

Vor 77 Jahren, am 5. Januar 1945 wurden die Mitglieder der Suhler Widerstandsgruppe „Friedberg“ Adolf Anschütz, Rudolf Gerngroß, Friedrich Heinze, Ernst König, Emil und Minna Recknagel, Carl Stade und Ewald Stübler im Hof des Landesgerichtsgefängnisses zu Weimar hingerichtet. 

In der offiziellen Mitteilung vom 8.1.45 des Oberstaatsanwaltes von Weimar an den Reichsjustizminister, betrifft: Hinrichtung des Adolf Anschütz, Ernst König,und Ewald Stübler heißt es: „Die Hinrichtung erfolgte am 5.1.1945, sie dauerte je 20 Sekunden“. In einem standesamtlichen Dokument wurde die infame Lüge festgehalten,das Adolf Anschütz an einem plötzlichen Herztod verstorben sei. 

An die  Tochter von  Adolf Anschütz, Hedwig Epple, schreibt er vor seiner Hinrichtung am 5.1.45 u.a.: „Ich bin unschuldig verurteilt […] sterben ist Gewinn, Leben ist Kampf […] ich habe für euch Kinder gelebt und gehofft, ein besseres Los zu erreichen, ich hoffe zuversichtlich, dass ihr es einmal besser bekommt als dein Vater. Mein letzter Gruß, mein letzter Gedanke, bleibt stark und treu.“ 

Seine Frau Anna (geborene Günther) und Tochter Hilde (verheiratete Zieglebner), seine Schwägerin Emma Koburg waren unter den 150 Verhafteten der zweiten großen Vierhaftungswelle am 8. Juni 1944 in Suhl. Sein Sohn und zwei Schwiegersöhne waren „gefallen“, der Mann von Annas Schwester Luise Otto-Keiner (bis 1933 kommunistischer Bürgermeister in Benshausen) wurde am 22.9.44 in Buchenwald ermordet und ihr jüngster Bruder Alwin Günther „saß“ in der Schweiz im Gefängnis. Anna konnte aus dem Todestransport aus Ichtershausen fliehen und traf einige Tage nach der Befreiung Suhls durch amerikanische Truppen in Suhl ein und konnte drei ihrer Töchter Ella, Wanda, Hilde mit ihren 6 Kindern in die Arme schließen.

Die letzten Zeilen von Friedrich Heinze an seine Frau Margarete, seine Tochter Ursula und Sohn Bodo: „Wenn ihr diesen Brief erhaltet, bin ich nicht mehr am Leben […] zu meinem Geburtstag denkt halt an mich […] ich sterbe als Deutscher für mein Vaterland! Ihr braucht euch nicht zu schämen.“
Die Nachricht über die Vollstreckung des Urteils wird Margarete an die Heimatadresse geschickt,die sie gar nicht empfangen kann, da sie selbst noch im Frauengefängnis Leipzig-Kleinmeusdorf eingesperrt ist.

Im Abschiedsbrief von Minna und Emil Recknagel an ihre zwei Kinder steht: „Ihr braucht Euch nicht zu schämen, wir sterben unschuldig. Wir werden gerächt […] Wir sind die unzähligen Opfer des Faschismus“.

Das sind nur einige Zeugnisse von den 28 ermordeten Frauen und Männern aus Suhl und Umgebung, die im Widerstand gegen Faschismus und Krieg ihr Leben gegeben haben für eine bessere Welt. Sie hätten bestimmt alle den Schwur der Überlebenden von Buchenwald vom 19. April 1945 mit geleistet:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

24. Dezember 2021

Die Geschichte eines Ehrenmals

16. Dezember 2021

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Autorin: Brigitte Dornheim (BG Sonneberg)

Die Gedenkstätte wurde am 8. Mai 1977 eingeweiht. Das Ehrenmal, das sich noch heute auf dem Sonneberger Hauptfriedhof befindet, haben wir dem Bildhauer Erich Schramm aus Steinach zu verdanken. Erich Schramm wurde dafür am 6. Mai 1977 mit einer Ehrenurkunde des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft geehrt. Er schuf für 104 Bürger der Sowjetunion eine würdige Grabstätte. Auf einem halbkreisförmigen Grabstein stehen ihre Namen. In die Listen reihen sich die Namen von 12 polnischen, einem tschechischen und einem jugoslawischen Bürger ein. Insgesamt sind in 45 Gräbern 118 Tote bestattet. In diesem Ehrenmal wurden Einzelgräber des Sonneberger Friedhofs und Gräber aus Friedhöfen des Kreises Sonneberg zusammengefasst.

Es waren Soldaten der Roten Armee und zivile Zwangsarbeiter, die hier in fremder Erde begraben liegen. Die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter, die in Sonneberger Rüstungsbetrieben und auch auf Bauernhöfen des Kreisgebietes schuften mussten, waren die Ursachen für das Sterben der zumeist jungen Menschen, die man seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, aber vor allem seit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion, der sich am 22. Juni zum 80. Male jährt, aus ihren Heimatländern deportierte.

Der Sonneberger „Arbeitskreis antifaschistische Gedenkkultur“, zu dem Reiner Kotulla und ich gehören, organisierte am 8. Mai dieses Jahres, am Tag der Befreiung, an diesem Ehrenmal eine Gedenkveranstaltung, an welcher unter Beachtung der Corona-Hygieneregeln acht antifaschistisch gesinnte Bürger unseres Landkreises teilnahmen. Zum wiederholten Mal stellten wir fest, dass sich auf dem Grabstein eine flachgeschliffene Stelle gab, die den Schluss zuließ, dass sich hier ein Sowjetstern befunden haben könnte. Von den entsprechenden Behörden der Stadt und des Landkreises Sonneberg erhielten wir leider keinen Hinweis und auch kein Foto aus dem Jahre 1977 und danach, die das Vorhandensein des Sterns hätten dokumentieren können. Nur den Namen des Bildhauers, der das Ehrenmal geschaffen hatte, teilte man uns mit. Wir blieben auf dieser Spur – und wirklich, die Firma Schramm in Steinach existiert noch und wird vom Sohn des Erich Schramm, Otto Schramm, geleitet.

Das ursprüngliche Ehrenmal 1977

Otto Schramm suchte und fand Bilder und Texte, die sein Vater aufgehoben hatte und wirklich – auf dem Grabstein prangte ein Sowjetstern aus rotem Porphyr.

Höchstwahrscheinlich wurde er nach der sogenannten Wende abgeschlagen, denn bei der Sanierung des Grabmahls vor ungefähr 10 Jahren war kein Sowjetstern vorhanden. Nur die in Form eines Sterns geschnittene Hecke ließ den Schluss zu, dass es einen solchen Stern aus Stein gegeben haben konnte. Nun nahmen wir wieder Verbindung zum Amt für Denkmalschutz und zum Bürgermeister von Sonneberg auf. Der stellvertretende Bürgermeister Christian Dressel versicherte uns, die ganze Angelegenheit vor den Kulturausschuss zu bringen, so wie er das vor zwei Jahren mit der von uns beantragten Sanierung der Gedenkplatte für die Opfer des Faschismus gemacht hatte, welche sich ursprünglich auf dem Woolworth-Gelände in der Nähe des Rathauses befand und jetzt nahe der evangelischen Kirche Sonneberg in würdiger Form erinnert und mahnt.

Wir hoffen, dass das Ehrenmal in seine ursprüngliche Form zurückversetzt wird und möchten allen, die unseren Arbeitskreis „Antifaschistische Gedenkkultur“ bei seinem wichtigen Projekt „Wider das Vergessen – erinnern, mahnen und handeln“ unterstützten, an dieser Stelle danken.

131. Geburtstag von Theodor Neubauer

13. Dezember 2021

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Am Sonntag, den 12. Dezember, wäre der antifaschistische Widerstandskämpfer aus Bad Tabarz 131 Jahre geworden. Aus diesem Anlass trafen sich unsere Landesvorsitzende, Kati Engel, und unserer Landesschatzmeisterin, Chris Schütze, mit dem Bürgermeister von Bad Tabarz, David Ortmann, um gemeinsam Blumen an seinem Gedenkstein niederzulegen.

Als Lehrer wurde Neubauer 1921 für die KPD in den thüringischen Landtag gewählt. Ab Oktober 1923 gehörte er sogar als Staatsrat der damaligen SPD-KPD-Landesregierung Thüringens an. Seine Immunität wurde aber alsbald aufgehoben, da er gegen den Einmarsch der Reichswehr protestierte. So war Neubauer gezwungen ins Rheinland zu flüchten. Mitte 1924 leitete er dort als Chefredakteur die Düsseldorfer KPD-Zeitung „Freiheit“ und wurde im Dezember 1924 Mitglied des Reichstags. Bis zum März 1933 als er in den Untergrund wechselte. Dennoch wurde Neubauer am 3. August verhaftet. Nach schweren Misshandlungen im Zuchthaus Brandenburg wurde er in den Konzentrationslagern Lichtenburg und später Buchenwald gefangen gehalten. In beiden Konzentrationslagern gehörte er der Leitung der illegalen Lagerorganisation an. Nach seiner Haftentlassung im September 1939 zog Neubauer wieder nach Thüringen, nahm seinen Wohnsitz in Tabarz und baute dort ab 1941 zusammen mit Magnus Poser ein kommunistisches Widerstandsnetz auf. Am 14. Juli 1944 wurde Neubauer erneut verhaftet, am 8. Januar 1945 in Berlin vom Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und am 5. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden enthauptet.

Ehre sei seinem Andenken.

TVVdN/BdA kritisiert Weimarer Kunstaktion

13. November 2021

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Der Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten wirft dem Weimarer Republik e.V., welcher am Wochenende das Thälmann-Denkmal auf dem Buchenwaldplatz durch Verhüllung in eine Kunstaktion verwandelte, mangelnde Empathie und Geschichtsklitterung vor.

Der Buchenwaldplatz ist zentral in der Stadt Weimar gelegen. Er ist den Menschen, welche im Konzentrationslager Buchenwald sowie in dessen Außenlagern und Kommandos ermordet wurden, gewidmet. Das gesamte Areal mit den angrenzenden Häusern sollte eine durch Kriegszerstörung entstandene Baulücke wieder schließen und die Erinnerung an die Opfer des Naziregimes in das Stadtzentrum holen. Zentrales Element des Platzes ist das Thälmann-Denkmal des Dresdener Bildhauers Walter Arnold, welches zur Ehrung des 1944 in Buchenwald ermordeten vormaligen Reichstagsabgeordneten und Vorsitzenden der KPD geschaffen wurde.

Mit der nun über das Wochenende andauernden Verhüllungs-Aktion des Denkmals solle eine Debatte über den künftigen Umgang mit dem Denkmal angestoßen werden, erklärte der Historiker Stephan Zänker für den Verein Weimarer Republik in einem Interview in der Zeit.

„Diese sogenannte Kunstaktion geht komplett an der Intension des Denkmals vorbei. Wir haben es hier eben nicht mit einer durchschnittlichen DDR-Skulptur zu tun. Es ist nicht möglich diese Thälmann-Statue, losgelöst von der Geschichte des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg zu betrachten“, empört sich die Landesvorsitzende des TVVdN/BdA, Kati Engel. „Thälmann steht hier nicht für eine bestimmte politische Richtung oder Programmatik. Dieses Denkmal steht symbolhaft für die geschundenen und ermordeten Häftlinge sowie für den mutigen Widerstand dieser im KZ Buchenwald gegen ein menschenverachtendes System, welche nicht wenige mit ihrem Leben bezahlen mussten. Wer vor diesem geschichtlichen Hintergrund nun das Denkmal verhüllt, verhüllt auch das Andenken an die Opfer des NS-Regimes.“

 „Was mich am meisten ärgert, ist die nicht hinzunehmende Geschichtsklitterung und der Schritt zur Bilderstürmerei des Herrn Zänker“, empört sich die stellvertretende Landesvorsitzende, Karin Schrappe. “So behauptet Herr Zänker gegenüber der Zeit (Und das als Historiker!), dass Ernst Thälmann „aktiv an der Zerstörung der Weimarer Republik“ mitgewirkt habe. Das ist eine bodenlose Frechheit und Geschichtsverfälschung. Nicht die KPD hat die Weimarer Republik verraten, sondern der Schulterschluss zwischen Sozialdemokraten, Konservativen und Faschisten. Spätestens mit der Wahl von Hindenburg!“

„Es ist auch einfach nicht wahr, dass dieser Platz „in Vergessenheit geraten“ ist und „von erinnerungskulturellen Initiativen aus der Mitte der Zivilgesellschaft“ unberührt bleibt. Allein wir als Landesverband waren dieses Jahr zweimal vor Ort, um darauf Kundgebungen abzuhalten“, erläutert  Christiane Schütze, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand. „Dieser Platz mit seinem Thälmann-Denkmal hat eine Bedeutung, die weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht. Er hat auch genug Freundinnen und Freunde, die sich dafür einsetzen, dass diese Bedeutung erhalten bleibt und nicht durch politische Vereinnahmung missbraucht wird.“

Gedenken an die Opfer des Novemberpogroms

9. November 2021

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In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstören Mitglieder der NSDAP, Hitlerjugend, der SA und SS fast alle Synagogen in Deutschland, plündern und ermorden Jüdinnen und Juden.

Auch in Thüringen drangen sie in die hiesigen Synagogen ein, zerstörten Scheiben und Mobiliar, plünderten die Ritualgegenstände, um schließlich die verwüsteten Gebäude vollständig in Brand zusetzen. Doch antisemitische Tendenzen waren auch hier bereits Jahrzehnte zuvor spürbar: seien es kleinere Anschlägen auf Synagogen, zerschlagene Fenster oder Schmierereien .

SA-Männer drangen aber auch gewaltsam in jüdische Geschäfte und Wohnungen ein und zertrümmerten vielfach die Inneneinrichtung. Verhaftungen jüdischer Männer schlossen sich an. Man deportierte sie per Bus in das KZ Buchenwald. Obwohl das Konzentrationslager auf dem Eltersberg erst halbfertig und bereits überfüllt war, weist die Gestapo insgesamt 10.000 jüdische Männer nach dem Novemberpogrom in das Lager ein. Die SS pfercht sie in hastig errichtete Behelfsbaracken: das jüdische Sonderlager. In diesem abgesonderten Bereich führt die SS Verhältnisse herbei, die zahlreiche Todesopfer fordern. Durch den akuten Wassermangel bricht eine Typhusepidemie aus. Viele überleben das nicht.

Ehre sei ihrem Andenken.

80. Todestag von Walter Krämer

6. November 2021

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Der Kommunist und Widerstandskämpfer wurde bekannt als „Arzt von Buchenwald“. Vielen Mithäftlingen hat er medizinisch geholfen, wofür ihm der Staat Israel im Jahr 2000 postum den Titel „Gerechter unter den Völkern“ verlieh.

Von Beruf Schlosser, eignete sich Krämer seine medizinische Kenntnisse im Selbststudium an, organisierte die Krankenversorgung und führte auch selbst Operationen durch. Er galt als ein sehr vorzüglicher Wundbehandler und Operateur.

Er weigerte sich, über sowjetische Kriegsgefangene das Todesurteil „Tbc-krank“ zu verhängen. Im Frühjahr 1940 erreichte er sogar die Schließung eines Sonderlagers für meist staatenlose Juden mit dem Hinweis auf Seuchengefahr für die SS und die umliegenden Dörfer. „500 kaum noch lebensfähige Skelette brachte diese Rettungsaktion ins große Lager.“

In den ersten Novembertagen 1941 wurde Krämer zusammen mit seinem Stellvertreter Karl Peix in das Außenlager Goslar überstellt. Beide wurden auf Anweisung des Lagerkommandanten Karl Otto Koch am Vormittag des 6. November von der SS „auf der Flucht erschossen“.

Ehre sei ihrem Andenken.

Erinnern heißt Kämpfen – Rede zum Tag der Opfer des Faschismus in Erfurt

20. September 2021

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, 

liebe Genossinnen und Genossen,

am heutigen Tag gedenken wir der antifaschistischen Widerstandskämpfer:innen und der Opfer des Faschismus. Für viele Mitglieder der VVN-BdA ist dies ein wichtiges Ereignis, das auch eng mit der Geschichte der eigenen Organisation verknüpft ist.

Als relativ junge Sozialistin, deren Aufwachsen in die Zeit der Berliner Republik fällt, habe ich wahrscheinlich einen etwas anderen Zugang zum Thema Gedenken an den Nationalsozialismus als ältere Anwesende dieser Veranstaltung. Familiäre oder freundschaftliche Begegnungen mit der Zeitzeug:innen-Generation spielten für mich schon kaum mehr eine Rolle, weder auf der Seite der Täter:innen noch der Opfer von Verfolgung und faschistischem Terror. Stattdessen waren es schriftlich festgehaltene biographische Erzählungen, Besuche in den modernen Gedenkstätten und Medienerzeugnisse, die dafür gesorgt haben, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für mich als Jugendliche immer mehr an Relevanz gewann. Mit all diesen Dingen habe ich mich außerdem – und das ebenfalls im Unterschied zu den Generationen vor mir – in einer Zeit auseinandergesetzt, in der das Gedenken an den Nationalsozialismus für die Bundesrepublik bereits zur Staatsräson gehörte. Den Nationalsozialismus zu thematisieren, war für meine Generation nie ein Tabu. Dass – vor allem in Westdeutschland – die Einrichtung von Gedenkorten und Zeichen der Erinnerung erst das Ergebnis einer harten gesellschaftlichen Auseinandersetzung war, war mir deshalb lange nicht bewusst. Dass das Gedenken in der DDR zwar von großer Bedeutung, aber durchaus auch nicht frei von problematischen politischen Implikationen war, selbstverständlich ebenfalls nicht. Für mich schien es einfach selbstverständlich, dass sich die Deutschen in Ost und West mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen und dass es stets positive Resonanz hervorrief, sich als junge Person ebenfalls mit diesem Teil der Geschichte zu beschäftigen. Erfahren konnte man dabei auf der Ebene der Fakten stets eine Menge. Vieles war bereits erforscht, Unterricht und Bildungsangebote zum Thema gab es zu Hauf. Um die höchst beunruhigende Frage jedoch, wie es denn hatte zum Zivilisationsbruch kommen können, ging es darin jedoch selten, was mich als Jugendliche lange frustriert und ratlos zurückließ.

Über die Jahre ist mein Einblick in die gesellschaftlichen Diskurse um das Gedenken an den Nationalsozialismus tiefer und differenzierter geworden. Für mich zeichnete sich dabei immer stärker ab, dass staatliche Gedenkpraxen und staatlich finanzierte Gedenkeinrichtungen, die ich als Jugendliche besucht hatte, sich zwar durchaus kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen, der Bezug zur Gegenwart dabei jedoch wenig beleuchtet wird. Das ist meiner Ansicht nach auch logisch, müsste doch aus einer radikal kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch ein Uneinverständnis mit den heute vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen resultieren. Immerhin bildete den Nährboden des Faschismus in den 1920er und -30er Jahren die bürgerlich-demokratische Gesellschaft – eine Gesellschaft, die der heutigen in ihren Grundsätzen gleicht. Für mich wurde letzteres ein immer relevanterer Faktor, auch bei meiner Beschäftigung mit Geschichte. Die bloße Abgrenzung von „bösen Nazis“, wie sie allgemein oft vorgenommen wird, scheint mir deshalb viel zu kurz gegriffen. Überall wird meiner Ansicht nach heute deutlich, dass eine statt auf Solidarität auf Konkurrenz basierende Gesellschaft, in der Freiheit und Gleichheit hohle Phrasen sind, notwendigerweise menschenverachtende Ideologien hervorbringt, die von gewaltbereiten Neonazis in die Tat umgesetzt werden. Nazis morden immer wieder und sie tun dies auch in einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Sitzt man also nicht dem unhaltbaren Irrglauben von psychisch kranken Einzeltätern auf, muss einem dieser Umstand mehr als über die Individuen auch etwas über die heutige Gesellschaft sagen, in der die Täter sozialisiert wurden. Wenn wir uns also heute mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen und seiner Opfer gedenken, kommt es meines Erachtens zuallererst darauf an, eine Verbindung in die Gegenwart herzustellen und uns zu fragen: Was hat der Nationalsozialismus mit uns heute zu tun? Der rechte Terror, der seine Opfer in Synagogen, Moscheen oder in Sommercamps sozialdemokratischer Jugendorganisationen findet, lässt die Antwort erahnen. Nationalsozialistische Ideologie hat sich kaum verändert und sie ist weiterhin präsent. Sie hat ihrer Ursachen nicht zuletzt in der Undurchschautheit gesellschaftlicher Verhältnisse. Auch wenn sie heute nicht das staatliche Handeln leitet, wie zwischen 1933 und 1945, existiert sie weiter und ihre Vertreter:innen nutzen jede Gelegenheit, sie in die Tat umzusetzen, die sich ihnen bietet. Ein bloß auf die Vergangenheit gerichteter Blick und eine Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte, die diese Kontinuitäten nicht in den Blick nimmt und reflektiert, kann dagegen kaum ein Mittel sein, ist aber im Zeitalter der ritualisierten Gedenkveranstaltungen die gesellschaftliche Realität. Neonazis werden sich trotz der darin geäußerten Lippenbekenntnisse weiter radikalisieren und auf diejenigen losgehen, deren Leben sie für unwert halten. Und sie werden dies so lange tun, wie diese Gesellschaft in ihrer heutigen Form fortbesteht und Rassismus und Antisemitismus ihnen dazu dienen, sich zu erklären, was ihnen sonst unerklärlich erscheint. Insofern impliziert ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus für mich notwendigerweise einen kritischen Blick auf diese Gesellschaft, in der die Voraussetzungen für eine Wiederholung des Schreckens fortexistieren. Diese abzuschaffen, muss auch in Zukunft unser Ziel sein. Erinnern heißt Kämpfen.

Annika Neubert, VVN/BdA Erfurt

Tag der Opfer des Faschismus 2021

13. September 2021

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Auszug aus der Rede der Landesvorsitzenden, Kati Engel

Seit 1945 ist der zweite Sonntag im September der Tag, welcher der Ehre und dem Andenken der Opfer des Faschismus gewidmet ist. Er ist damit der älteste Gedenktag für die Opfer des Naziregimes.

Bereits in den ersten Wochen nach der Befreiung entstanden vielerorts Antifa-Ausschüsse, in denen die Verfolgten des Naziregimes soziale, aber auch medizinische Hilfe für die Überlebenden der Haftstätten und Konzentrationslager organisierten. Kurze Zeit später wurden dann sogenannte „Ausschüsse für die Opfer des Faschismus“ eingerichtet, welche direkt an die kommunalen Verwaltungen angegliedert waren.

Es waren ehemalige politische Häftlinge, welche die Initiative für die Einführung eines Gedenktages für die Opfer des Faschismus ergriffen. Am 3. August forderte der Berliner „Hauptausschuß Opfer des Faschismus“ dem Oberbürgermeister Dr. Arthur Werner in einem Brief dazu auf.

Auszug aus dem Brief an den Berliner Oberbürgermeister:

„In der Zeit von Ende August bis Anfang September jährt sich zum erstenmale der Tag der faschistischen Morde an Ernst Thälmann, Rudolf Breitscheid und den Kämpfern des 20. Juli. Der Hauptausschuss „Opfer des Faschismus“ empfiehlt, in dieser Zeit Gedenkfeiern für unsere toten Helden zu veranstalten. Sie sollen politisch demonstrieren:

Die internationale Verbundenheit aller europäischer Opfer des Faschismus.

Die kämpferische Solidarität und geschlossene Einheit aller antifaschistischen Kämpfer aus dem Lager und Zuchthaus, aller antifaschistischen Kräfte in den Parteien und Gewerkschaften für Wiederaufbau und Wiedergutmachung.

Es soll der unumstössliche Wille der überlebenden Antifaschisten zum verantwortlichen Einsatz ihrer Kräfte für Demokratie und Völkerverständigung zum Ausdruck kommen. Das ist das Vermächtnis unserer toten Helden. […] Diese Gedächtnisfeier grössten Ausmasses wird nicht nur ein ehrendes Gedenken der toten Helden sein. Sie ist darüber hinaus an alle Überlebende der KZ’s und Zuchthäuser gerichtet. Sie wird den deutschen Kämpfern und den antifaschistischen Helden ganz Europas gewidmet sein, sind doch Häftlinge aus allen Teilen Deutschlands und Europas in den Nazi-Lagern vereint geween und sind dort in gemeinschaftlicher Abwehr dem SS-Terror entgegengetreten. […]“

Der Berliner Magistrat nimmt sich dieses Anliegens an und ruft für den 9. September 1945 zum „Tag der Opfer des Faschismus“ auf. Zahlreiche weitere Städte – vor allem in Sachsen und Brandenburg – schließen sich diesem Aufruf an. Allein in Berlin bewegen sich am 9. September 1945 30 Demonstrationszüge durch die Stadt. Ihr Ziel ist das Neuköllner Stadion. Umrahmt von Fahnen der von Deutschland überfallenen Länder, erhebt sich in der Mitte des Platzes das Ehrenmal. Es trägt die Inschrift: „Die Toten mahnen die Lebenden“. 

[…]

Gesamtbilanz von zwölf Jahren deutschen Faschismus ist beispiellos: 60 Millionen Menschen verloren dadurch ihr Leben. Lasst uns daher bitte innehalten und an ihre millionenfache Opfer erinnern und gedenken.

Wir verneigen uns ehrfurchtsvoll vor den Opfern, die in den Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Folterkammern litten und ermordetet wurden.

Wir verneigen uns tief vor den Soldatinnen und Soldaten der Antihitlerkoalition, vor den Partisanen und den Kämpferinnen und Kämpfern des illegalen Widerstandes, vor Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeitern und Wehrmachtsdeserteuren.

Wir verneigen uns vor jenen, die diese Hölle überlebten und sich hoffnungsvoll am 19. April auf dem Apellplatz in Buchenwald zusammenfanden, um den Schwur zu leisten:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Doch der Schwur von Buchenwald ist bis heute nicht erfüllt. Und die überlebenden KZ-Häftlinge, die ihn damals leisteten, werden immer weniger. Erst dieses Frühjahr mussten wir einen der letzten Zeitzeugen zu Grabe tragen: unseren Freund und Kameraden, Günter Pappenheim. Wenige Wochen vor seinem Tod forderte Günter uns, die nachfolgenden Generationen, auf:

• Lasst nicht zu, dass vergessen wird, was in Buchenwald geschah und ordnet es ein in das Furchtbare, was durch die Hitlerfaschisten in der Welt angerichtet wurde.

• Erinnert und bedenkt die Apriltage 1945 in Buchenwald.

• Erinnert und bewahrt den Schwur von Buchenwald, denn es gibt keine Alternative zu einer Welt des Friedens, der Freiheit und ohne Faschismus, wenn die Menschheit überleben will.

• Scheut keine Mühe, wenn es darum geht, den antifaschistischen Konsens immer neu, auch international, zu beleben.

Es ist nun an uns, das Vermächtnis des Schwurs von Buchenwald weiterzutragen.

Es ist nun an uns, die Erinnerung an die Opfer des Faschismus zu bewahren.

Es ist nun an uns, die Mahnung vor den Gräueltaten des Naziregimes und den Abgründen des menschlichen Handelns aufrechtzuerhalten.

Es ist an uns, dafür Sorge zu tragen, dass ein „Nie wieder“ wirklich auch ein „Nie wieder“ bleibt. Denn das sind wir den gemordeten Opfern und deren Angehörigen schuldig.

Breitscheid-Gedenken 2021

24. August 2021

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Rede der stellv. Landesvorsitzendenden, Karin Schrappe

Verehrte Anwesende,

Es ist eine gute Tradition, heute wieder gemeinsam an Rudolf Breitscheid zu erinnern, ihm zu gedenken und im Namen unseres Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes und des Bundes der Antifaschisten zu mahnen.

Der Name Breitscheid fiel an unserem Familientisch durch Curt Albrecht, einem Familienmitglied und Überlebenden des KZ Buchenwald. Er gab der Erfurter Breitscheidstraße, in deren Nähe wir zu Hause waren, für mich ein Gesicht. Sein Lebensweg und der vieler Ermordeten, aber auch Überlebenden des Naziregimes begleitet mich mein ganzes Leben und führte mich auch immer auf den Ettersberg zurück. Mit vielen Menschen gedachte ich hier ihren Angehörigen und traf Zeitzeugen. Diese forderten uns immer auf, ihre Geschichten weiterzugeben, der jungen Generation zu sagen, dass sie keine Schuld aber Verantwortung tragen, dass so etwas nicht wieder passieren darf. Und deshalb unterstütze ich auch die Forderung, dieser Zeit und der Herausarbeitung der Ursachen dafür in der Schule mehr Zeit einzuräumen.

Leider gibt es fast keine Zeitzeugen mehr. Erst vor wenigen Tagen ist unsere Kameradin Esther Bejarano, Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau, von uns gegangen. Sie sagte einst: „Ihr tragt keine Schuld für das was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert.“

Und deshalb ist es unsere Aufgabe als Nachkommen die junge Generation dafür zu sensibilisieren und zu unterstützen.

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